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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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als würde er sich in Lichtgeschwindigkeit auf Teile von Kate zubewegen, denn für ihn waren Erinnerungen Teile des Menschen, der sie gemacht hatte. Er dachte über den Brief nach, den sie ihm geschrieben hatte, immer noch unsicher, was er von ihrer Bitte halten sollte. Ein Teil von ihm war ihr nach wie vor böse, dass sie Mattie und ihn auf diese Reise geschickt hatte. Es kam ihm zu fordernd vor – sowohl körperlich wie auch mental. Was, wenn Mattie in Indien krank wurde? Was, wenn sie sich verletzte oder verloren ging? Warum um alles in der Welt verlangte Kate so viel von ihnen?
    Plötzlich tauchte ein Hochgeschwindigkeitszug auf, der in die andere Richtung fuhr. Obwohl der andere Zug mindestens dreihundert Meter lang war, war er innerhalb von Sekunden wieder verschwunden. Die grüne Landschaft füllte wieder das Fenster. Während Ian auf die elektronische Landkarte blickte, die ihr Vorankommen anzeigte, merkte er, dass er schwitzte. Er fluchte unterdrückt und zog sein T-Shirt von seinem schmerzenden Bauch weg. Er nahm seine blaugrüne Freiheitsstatue-Baseballkappe ab und hängte sie an den Sitz vor sich. In einem Versuch, sich von dem Gedanken an ihr Ziel abzulenken, wandte er sich zu Mattie, die ein Reisfeld mit Bergen dahinter zeichnete. »Gut gemacht, Ru«, sagte er und zwang sich zu lächeln. »Das wird ein richtig schönes Bild.«
    Mattie blickte ihn an. »Danke, Papa.«
    »Du bist eine verdammt gute Künstlerin.«
    Sie nickte, sagte aber wieder nichts, sondern nahm ihren limonenfarbenen Stift und gab damit dem Reisfeld eine andere Schattierung. In der Hoffnung, dass ihr Vater immer noch zusah, versuchte sie, den Stift so zu bewegen, wie sie Ältere hatte zeichnen sehen, deren Hände in ständiger Bewegung waren. Als Ian sich wieder zum Fenster drehte, verlangsamte Mattie ihr Tempo. Sie wusste, dass ihre Mutter ihr Fragen über ihr Bild gestellt hätte, dass sie vielleicht hätte wissen wollen, ob das Wasser auf dem Feld kalt war oder ob Mattie noch Vögel in das Bild einfügen wollte. Ihre Mutter hatte ihr immer solche Fragen gestellt, immer Matties Ideen gelobt und sie auf neue gebracht. Ihr Vater sagte normalerweise nur, dass ihre Bilder schön waren. Er hatte sonst nicht viel zu sagen, und Mattie malte immer weniger und weniger Bilder. Das Malen hatte Mattie und ihrer Mutter viel Freude gemacht. Und ohne ihre Mutter war diese Freude nur noch halb so groß.
    Mattie legte den Stift weg. »Ich habe Hunger.«
    Ian drehte sich zu ihr um. »Oh. Na ja, kannst du noch bis zum Mittagessen warten? Wir sind in einer Stunde da.«
    »Mami hätte mir etwas zu essen eingepackt. Sie hätte das nicht vergessen.«
    »Sie hätte was?«
    »Sie hätte nicht vergessen, etwas zu essen für mich mitzunehmen.«
    »Ganz ruhig, Ru. Es gibt dahinten einen Speisewagen. Sollen wir etwas Sushi essen?«
    »Mir ist nicht nach Sushi.«
    »Wie wäre es mit Nudeln?«
    »Wir hatten schon gestern Mittag Nudeln. Und sie schmecken wie Papier.«
    Ian seufzte und sah erneut aus dem Fenster. »Willst du etwas essen oder nicht? Es gibt jede Menge leckere Kleinigkeiten in diesem Zug. Oder wir können warten und in Kyoto richtig essen gehen.«
    »Lass uns warten.«
    »Aber du hast doch Hunger. Ich kann dir etwas holen.«
    »Nein, schon gut.«
    Ian massierte seine Stirn. Ihm war klar, dass Mattie sich über etwas ärgerte, aber er wusste nicht, worüber. Er hätte sie natürlich fragen können, aber er wusste, dass sie es ihm vermutlich nicht sagen würde. Einen Teil ihres Schmerzes behielt sie für sich, genau wie er. »Möchtest du die Briefe aufmachen, Mattie?«, fragte er nickend. »Möchtest du nachsehen, was deine Mutter uns geschrieben hat?«
    »Aber ich dachte, du willst warten, bis wir in Kyoto sind.«
    »Ach, ich habe doch schon viel zu lange gewartet«, erwiderte er und dachte daran, dass Kate ihn gebeten hatte, die Filmdosen zu öffnen, wenn sie in dem jeweiligen Land ankamen. »Ich habe nur gezögert, weil ich Angst vor dem habe, was drinsteht. Aber ich schätze, es wird Zeit, dass ich aufhöre, ein Idiot zu sein.«
    »Du kannst ruhig ein Idiot sein, Papa.«
    »Das ist wahr.«
    »Du willst sie wirklich aufmachen?«
    Ian griff in seine Tasche und holte zwei schwarze Filmdosen heraus. Auf beide war mit goldfarbenem Permanentmarker »Japan« geschrieben. Auf einem stand sein Name, auf dem anderen Matties. »Hier, Schatz«, sagte Ian und reichte Mattie ihre Filmdose.
    »Vielleicht solltest du zuerst deine aufmachen.«
    »Keine Sorge, Ru.

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