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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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selbst.
***
    Am nächsten Morgen verließ ein Hochgeschwindigkeitszug die Innenstadt von Tokio mit atemberaubender Schnelligkeit und Eleganz. Das Innere des Wagons, in dem Mattie und Ian saßen, schien sich kaum zu bewegen. Nichts ratterte. Es gab keine Schläge und kein Wackeln. Ein Mädchen, das durch den breiten Gang ging, musste sich nirgendwo festhalten. Der Zug glitt auf fast magische Weise dahin, schien eher über die Gleise zu schweben als darauf zu rollen. Draußen vor den langen Fenstern flog Tokio vorbei, Autos wurden zu verschwommenen Farbflecken, und die Menschen waren kaum noch zu erkennen.
    »Es ist, als wäre man in einem Flugzeug, oder?«, fragte Mattie.
    Ian streckte sich in seinem Sitz aus und sah sich um, beeindruckt von dieser Art des Transports. »Es ist besser als ein Flugzeug, Schatz«, sagte er. »Der Zug ist immer pünktlich. Es gibt keine Turbulenzen oder Gefahren. Er ist viel komfortabler. Und er bringt einen in null Komma nichts ans Ziel.« Er deutete auf ein elektronisches Schild am Ende des langen, glänzenden Wagons. »Siehst du die Zahlen da? Das ist unsere Geschwindigkeit. Wenn wir auf dem Land sind, werden die Nummern hochspringen wie Kängurus im Busch. Ich schätze, dann erreichen wir locker über dreihundert Stundenkilometer.«
    »Wow«, meinte Mattie und sah nach draußen, dann in den Wagon. Sie konnte nicht glauben, wie großzügig das Innere des Zuges war. »Es ist, als wäre man in einem Raumschiff.«
    »Das schlägt die U-Bahnen zu Hause um Längen, stimmt’s?«
    »Oh ja.«
    »Wie wäre es mit ein bisschen Hausaufgaben, Schatz? Denk dran, du sollst drei Stunden pro Tag lernen. Das ist der Deal, den wir mit deinem Lehrer gemacht haben.«
    »Nein, nicht jetzt, Papa. Bitte nicht jetzt. Ich möchte den Zug malen.«
    »Wir werden eine Weile hier drin sein.«
    »Bitte.«
    Er griff in seinen Rucksack und holte ihr Geschichtsbuch heraus, legte es ihr auf den Schoß. »Okay, Schatz. Aber wenn du fertig bist, nehmen wir uns das hier vor. Ausgerechnet Jeanne d’Arc wird ganz sicher nicht weglaufen und sich verstecken.«
    Während Mattie ihren Skizzenblock herausholte, betrachtete Ian die Stadt. Die Wolkenkratzer beherrschten nicht mehr das Bild, waren nur noch hin und wieder zu sehen. Der Zug wurde immer schneller, angetrieben von Elektrizität. Zwei Geschäftsleute, die hinter Ian und Mattie saßen, begannen sich auf Japanisch zu unterhalten, und der Klang ihrer Stimmen versetzte Ian zurück in die Vergangenheit. Er hatte solche Stimmen schon tausendmal in Zügen gehört, wenn er von der Arbeit oder vom Essen bei Kate nach Hause gefahren war. Oft hatten sie zusammen solche Gespräche um sich herum belauscht und versucht, die einzelnen Informationen zu entschlüsseln.
    Der Gedanke an Kate, daran, dass er dem Ort, wo sie sich kennengelernt und ineinander verliebt hatten, immer näher kam, beschleunigte Ians Puls. Er hatte Angst vor dem, was er sehen würde. Seine Tage in Kyoto an Kates Seite gehörten zu den besten seines Lebens. Auf ihren Mountainbikes hatten sie die Stadt erkundet. Zu Fuß waren sie fast täglich in den Bergen hinter ihrer Wohnung gewandert.
    Ian glaubte nicht, dass er stark genug sein würde, durch Kyoto zu gehen und sich dabei ständig für Mattie zusammenzureißen. Wie konnte er etwas anschauen, das Kate berührt hatte, und nicht davon berührt sein? So viel Selbstbeherrschung war unmöglich. Vielleicht in vielen Jahren, wenn seine Erinnerungen verblasst waren, konnte er durch die Vergangenheit laufen. Aber jetzt noch nicht. Nicht, wenn er immer noch aufwachte und nach ihr griff. Nicht, wenn sie so viele von seinen Gedanken beherrschte.
    Bitte, gib mir Kraft, betete er innerlich und schloss die Augen, während sein Daumen sich hin und her bewegte. Mattie braucht mich. So wie ich früher war. Also bitte, tritt mir nicht in die Zähne, wenn wir in Kyoto sind. Lass mich sie nicht enttäuschen. Ich habe sie schon enttäuscht, deshalb darf ich das nicht noch mal tun. Ich brauche diesmal eine faire Chance. Also gib mir eine faire Chance.
    Ian öffnete die Augen und blickte nach draußen, überrascht, dass sie schon auf dem Land waren. Flirrende Reisfelder dominierten den Boden des Tals, durch das sie rasten. Dicht bewachsene Berge erhoben sich in der Ferne. Die Berge bewegten sich langsam zu Ians Linken, während er sie ansah, anders als alles andere in der Nähe, das vorbeiflog, als sei es ein bunter Wandteppich, den man um den Zug gewickelt hatte. Ian fühlte sich,

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