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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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gefunden und an ihn weitergegeben hatte, noch ein Teil von ihr, den sie ihm geschenkt hatte.
    Nach ihrer Ankunft in Kyoto checkten Ian und Mattie im Hotel ein und verbrachten den Tag damit, ein paar Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besichtigen. Mattie dachte an den Wunsch ihrer Mutter und zeichnete eine von Kyotos berühmtesten Attraktionen – Kinkaku-ji oder den goldenen Pavillon-Tempel. Die zwei oberen Stockwerke des dreistöckigen Pavillons waren mit purem Blattgold überzogen. Zwei breite, an den Enden nach oben gebogene Dächer trennten die einzelnen Abschnitte. Vor dem Gebäude lag ein Brunnen, den die Japaner Spiegelbrunnen nannten, weil die Reflektion des Kinkaku-ji darin genauso elegant aussah wie der Pavillon selbst. Die Umgebung neben und hinter Kinkaku-ji wurde dominiert von einem üppigen japanischen Garten.
    Mattie war fasziniert von Kinkaku-jis Schönheit gewesen. Sie fand, dass es einem Gemälde ähnelte, einem wundersamen Bild, das sich jemand vor sehr langer Zeit ausgedacht hatte. Zwei Stunden vergingen, bis Mattie ihre Zeichnung fertig hatte. Darunter schrieb sie »Ich liebe dich« und ihren Namen. Während sie an dem Bild arbeitete, saß Ian neben ihr und sah ihr zu. Er wusste, dass Kate sie gebeten hatte, etwas Schönes zu malen.
    Sie waren an jenem Abend sehr müde gewesen und hatten in ihrem Hotel gegessen, etwas, das Kate niemals getan hätte. Danach waren sie in das Business Center gegangen, und Mattie hatte gelesen, während Ian seine E-Mails checkte. Obwohl er die von ihm gegründete Firma verkauft hatte, hatten seine ehemaligen Kollegen und Kunden manchmal Fragen, die er am besten beantworten konnte. Außerdem wollte er wissen, ob ihr Makler inzwischen einen Interessenten für ihr Haus gefunden hatte.
    Mattie war sehr schnell eingeschlafen, aber Ian nicht, und er driftete zwischen bewussten und unbewussten Gedanken hin und her. Er hatte mehrmals von Kate geträumt und immer, wenn er die Augen öffnete, vergeblich versucht, ihr Bild festzuhalten.
    Am nächsten Morgen hatten sie hastig gefrühstückt. Sowohl Ian als auch Mattie konnten es kaum erwarten, den Weg hinter der alten Wohnung entlangzuwandern. Obwohl Ian Bedenken hatte, den Ort wiederzusehen, an dem er und Kate so viel Zeit miteinander verbracht hatten, hoffte er, sie auf dem Weg zu spüren. Sie hatte es geliebt, den Berg zu besteigen und die Stadt von oben zu sehen.
    Mattie teilte diese Sorgen nicht. Sie sehnte sich danach, das zu sehen, was ihre Mutter gesehen hatte. Wenn ihre Mutter den Weg geliebt hatte, dann wusste Mattie, dass sie das auch tun würde. Sie wollte außerdem unbedingt ihr Bild und einen Wunsch in einem Baum zurücklassen. Am Abend zuvor hatte sie in der Badewanne über ihren Wunsch nachgedacht. Wusste ihr Vater überhaupt, dass sie immer noch gerne eine kleine Schwester haben wollte? Da ihre Mutter nach ihrer schwierigen Geburt nicht mehr schwanger werden dufte, hatten sie oft darüber gesprochen, ein Mädchen zu adoptieren. Tatsächlich hatten sie sich sogar erkundigt, wie sie ein Mädchen aus China oder Indien adoptieren konnten. Sie hatten schon mehrere Monate damit verbracht, sich genau über das Prozedere zu informieren, als ihre Mutter krank wurde. Dann hatten die Gespräche über eine Adoption aufgehört, doch Matties Wunsch nach einer Schwester war geblieben. Diese Sehnsucht war nur noch stärker geworden, als ihre Mutter starb und das Gewicht ihrer Einsamkeit sie so bedrückte, dass sie zu ersticken glaubte.
    Jetzt, während Mattie und ihr Vater mit einem oberirdischen Zug in Richtung Yamashina fuhren, dem Teil von Kyoto, wo ihre Eltern früher gelebt hatten, dachte sie über die Schwester nach, die sie verloren hatte, als ihre Mutter starb. Wahrscheinlich hätten sie, wäre ihre Mutter nicht krank geworden, inzwischen ein kleines Mädchen adoptiert. Sie wären eine vierköpfige Familie gewesen. Stattdessen waren da nur noch ihr Vater und sie. Und obwohl sie ihn so sehr liebte, wie man jemanden nur lieben konnte, wünschte sie, sie hätte eine Schwester. Mit einer Schwester an ihrer Seite hätte sie nicht so viel Angst davor gehabt, was mit ihr passieren würde, wenn ihr Vater krank wurde.
    Der Zug fuhr aufwärts, folgte den Konturen eines Berges. Mattie sah Tausende von Häusern unter sich, frei stehende Gebäude mit blauen Ziegeldächern und winzigen Gärten. Mit der Geschwindigkeit eines Autos auf der Autobahn bewegte sich der Zug von einer Seite zur anderen auf den kurvigen Schienen, während

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