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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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Fang du an. Ich warte.«
    Mattie nickte. Ihre Finger, gefärbt von den Buntstiften, zogen die graue Kappe von ihrer Dose. Drinnen war ein schmales, aber langes aufgerolltes Stück Papier. Mattie betrachtete es, und ihr Herz schlug schneller. Sie wusste nicht, was sie hoffte, dass ihre Mutter ihr sagen würde, oder ob es ihr durch ihre Worte irgendwie besser gehen würde. Ihre bunten Finger zitterten, während sie das Papier aufrollte und auf die kleine, elegante Schrift sah.
    Mein geliebtes kleines Mädchen,
    wenn Du diese Nachricht liest, dann weiß ich, dass Du auf unsere Reise gegangen bist, die Reise, die wir geplant hatten, bevor ich krank wurde. Ich bin so stolz auf Dich, dass Du gefahren bist, Mattie. Ich weiß, dass es nicht einfach wird. Ich musste nicht den Weg gehen, den Du gehen musst, aber ich kann mir denken, wie es ist.
    Jetzt, während ich hier liege, stelle ich mir Deine Bilder vor, Deine Sommersprossen, die Art, wie Du lachen kannst, als würden Dich alle auf der Welt kitzeln. Ich stelle mir alles an Dir vor. Und wenn ich an Dich denke, dann denke ich an alles, was gut ist, an ein Mädchen, das mich lächeln lässt, sowohl als Mutter als auch als Mitmensch. Ich glaube nicht, dass ich schon mal jemanden getroffen habe, Mattie, der Dein Herz hat. Du bist so jung, und doch weißt Du schon, wie Du Deine Gefühle teilen kannst, wie Du Dich selbst teilen kannst. Du bist viel älter, als Du eigentlich bist, wenn es um das Teilen geht, in so vieler Hinsicht.
    Ich liebe Dich so sehr. Ich habe Dich von dem Moment an geliebt, als ich Dich in mir wachsen fühlte – ein Wunder, das ich in meinem Bauch hielt und dann in meinen Händen. Ich habe Dich immer geliebt, und ich werde es immer tun. Manche Dinge mögen mir genommen worden sein, aber meine Liebe zu Dir gehört nicht dazu. Sie ist endlos.
    Würdest Du etwas für mich tun, Mattie? Es gibt einen Weg hinter der Wohnung in Kyoto, wo Dein Vater und ich gewohnt haben. Dieser Weg wurde vor zweitausend Jahren von Mönchen geschaffen. Er ist wunderschön und spirituell. Wir sind ihn fast jeden Tag gegangen, als wir in Japan waren. In Gedanken gehe ich ihn immer noch. Würdest Du bitte Deinen Vater an die Hand nehmen und ihn mit mir gehen? Ich bin direkt neben Dir. Du wirst mich nicht sehen oder hören, aber ich bin da.
    Und dann, wenn Du ganz oben auf dem Berg stehst und auf Kyoto heruntersiehst, würdest Du etwas für mich tun? Die Japaner haben eine alte Tradition. Sie schreiben ihre Wünsche auf ein Stück Papier und binden das Papier an einen Baum, damit ihre Wünsche oder Gebete in Erfüllung gehen. Ich erinnere mich, dass ich Hunderte, vielleicht Tausende von weißen Zetteln an den heiligen Bäumen in Kyoto gesehen habe. Die Japaner nennen sie die »Wunschbäume«, und sie sind genauso wunderschön und mächtig wie alles, was Du siehst.
    Bitte schreibe einen Wunsch auf und binde ihn an einen Baum, der von oben auf Kyoto herabblickt. Ich werde Deinen Wunsch lesen und mein Bestes tun, um ihn in Erfüllung gehen zu lassen. Bitte um etwas Lustiges, für Dich selbst. Und vielleicht könntest Du mir auch ein Bild dalassen, damit ich es mir ansehen kann. Das wäre schön, Mattie. Das würde mich sehr glücklich machen. Wünsch Dir etwas Schönes, und zeichne etwas Schönes, und sei sicher, dass ich Deine Worte lese und sehe, was Du geschaffen hast. Ich werde lächeln, wo immer ich bin. Und ich liebe Dich so sehr, wie ich es immer getan habe.
    Mami
    Mattie biss sich auf die Unterlippe und versuchte, nicht zu weinen. Sie hielt das Papier an ihr Gesicht, hielt es gegen ihre Wange. Sie zitterte und schwieg weiter, doch sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Vielleicht würde irgendwann eine Zeit kommen, in der sie nicht ständig den Tränen nahe war, aber jetzt war es noch nicht so weit, nicht, wenn sie sich, selbst mit ihrem Vater neben sich, so allein fühlte. Sie vermisste ihre Mutter manchmal so sehr, dass sie das Gefühl hatte, selbst gestorben zu sein. Teile von ihr waren das ganz sicher.
    Ihr Vater küsste ihre Stirn und zog sie dicht an sich. Sie sah, dass er ebenfalls weinte, nicht, weil er seinen Brief aufgemacht hatte, sondern weil sie so auf ihren reagiert hatte. Er küsste sie wieder und wieder, und sie schlang die Arme um ihn und weinte leise. Er flüsterte ihr ins Ohr, dass er sie liebte. Und seine Worte halfen. Manchmal wusste er, was er sagen musste. Als sie sein stacheliges Gesicht an ihrem fühlte und die Trauer in seinen Worten hörte,

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