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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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Körper auf die Erde zurück, um ihre Reise fortzusetzen.«
    Mattie blickte von Feuer zu Feuer und dachte an die Beerdigung ihrer Mutter. »Was, wenn man beerdigt wird? Kann die Seele dann auch wiedergeboren werden?«
    Der Inder nahm die Ruder wieder auf und ruderte ein paar Mal mit geschürzten Lippen. »Ich weiß nicht genau, was ein Hindu dazu sagen würde. Aber ich glaube, sie würden mit den Köpfen nicken. Sie würden glauben, dass eine Seele niemals eingesperrt werden kann. Der Ganges macht die Wiedergeburt natürlich leichter. Aber die Erde ist nicht viel anders.«
    Am nahe gelegenen Ufer schien das Feuer seine Stärke zu verlieren. Der Mann in der weißen Robe stocherte weiter mit seinem langen Stock in der Asche herum.
    »Wenn ein Mann verbrannt wurde«, erklärte der Bootsführer, »dann bleiben seine Rippen vielleicht übrig. Wenn es eine Frau war, dann ist es vielleicht ihr Becken. Dieser Mann sieht nach, ob alles gut genug verbrannt ist. Wenn ja, dann wird ein Verwandter des Toten einen Besen nehmen und die Asche in den Ganges fegen.«
    Mattie dachte darüber nach, ob ihre Mutter wiedergeboren worden war. Sie wusste nicht, ob sie sich ihre Mutter im Himmel vorstellen wollte oder ob eine Wiedergeburt vielleicht irgendwie besser war. Wenn sie wiedergeboren wurde, dann konnte Mattie ihr vielleicht noch einmal begegnen. Vielleicht würden sie irgendwie zusammen spazieren gehen oder Fußball spielen können.
    Ein Moskito landete auf Matties Arm, und sie wischte das Insekt weg, dann deutete sie auf einen Jungen, der direkt unter dem Scheiterhaufen im Fluss schwamm. »Was macht der da?«
    »Er ist obdachlos«, antwortete der Mann und ruderte weiter. »Viele Leute würden ihn einen Unberührbaren nennen.«
    »Warum?«
    »Weil er im Wasser schwimmt und nach Zahngold und Schmuck sucht.«
    »Nach Goldzähnen?«
    »Von den verbrannten Körpern. Er sucht die Zähne und verkauft das Gold. Davon lebt er.«
    Mattie beobachtete den Jungen und zog eine Grimasse bei dem Gedanken daran, in dem schmutzigen Wasser schwimmen und nach Zähnen suchen zu müssen. »Wo sind seine Eltern?«
    »Vielleicht krank. Oder schon tot. In einer anderen Stadt. Ich beobachte diesen Jungen schon seit zwei Jahren fast jeden Tag. Er taucht tiefer als die anderen Jungen. Sogar tiefer als die Großen. Er ist ein guter Junge, glaube ich. Einmal war mir mein Ruder ins Wasser gefallen und er brachte es mir. Und einmal habe ich ihn an Land gebracht, als er Fieber hatte und die Strömung zu stark für ihn war.«
    Ian sah, dass Mattie aufgewühlt war, und nahm ihre Hand. »Vielleicht sollten wir gehen, Schatz. Ich denke, wir haben genug gesehen.«
    Mattie dachte an den Brief ihrer Mutter. »Sagen die Leute wirklich, dass er … ein Unberührbarer ist?«
    »Ja. Er kommt mit den Toten in Berührung, und das macht ihn zu einem Unberührbaren.«
    Sie wandte sich an ihren Vater. »Ich glaube, wir sollten mit ihm reden.«
    »Er würde vor euch weglaufen«, erwiderte der Bootsführer und schüttelte den Kopf. »Die großen Jungen bestehlen ihn.«
    Ian sah Mattie schweigend nicken. »Würden Sie uns an Land bringen?«, bat er. »Gleich hier, zwischen den Ghats?«
    Der Bootsführer zuckte mit den Schultern, wendete das Boot und ruderte schweigend weiter. Nur wenige Minuten später berührte der Bug des Bootes die Betonstufen, die aus dem Wasser führten. Ian reichte dem Mann einige Geldscheine, bedankte sich bei ihm und half Mattie dabei, an Land zu springen. Viele Hindus befanden sich auf den Treppen – Badende, Pilger, Männer, die Holz trugen. Ian und Mattie gingen am Fluss entlang auf den Jungen zu. Er war ungefähr zehn Meter vom Ufer entfernt und schwamm flussabwärts von dem großen Ghat weg. Mattie stellte fest, dass er jünger war, als sie gedacht hatte, vielleicht sogar jünger als sie selbst.
    Ian setzte sich auf eine Stufe direkt gegenüber von der Position des Jungen. »Ist er es, dem du helfen willst, Schatz?«
    »Ich glaube ja.«
    »Warum er?«
    »Weil er ein Unberührbarer ist. Niemand sollte das sein.«
    Ian nickte und tätschelte ihr Knie. »Lass dich niemals von irgendjemandem in einen Käfig sperren, Ru.«
    Sie löste den Blick von dem Jungen und sah ihn an. »Wie meinst du das?«
    »Ich meine, dass die Leute ihn unberührbar nennen. Sie halten nicht inne und überlegen, zu was er in der Lage ist. Und irgendwann erzählt dir vielleicht irgend so ein Idiot, dass du keine große Künstlerin sein kannst, dass du niemals wirklich etwas

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