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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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gestört habe, aber dem ist nicht so. Ihre liebste Erinnerung an unseren Camino 2001 »ist, wie viel wir gelacht haben«. Bis zum heutigen Tag benutzt sie dieses Merkmal unserer Pilgerreise, um abzuschätzen, ob ihr Leben in Neuseeland in die richtige Richtung läuft. Ist die Antwort auf ihre Frage »Habe ich Spaß?« ein dröhnendes »Nein!«, ändert sie den Kurs solange, bis die Antwort »Ja!« lautet.
    Ohne Shelagh, Hans oder die Pilger von gestern Abend ziehen sich die acht Stunden ewig hin. Künftig werde ich, sofern ich allein bin, meine Ruhetage in Städten verbringen. Künftig? Kommende Woche kann damit nicht gemeint sein, denn ich will ohne weitere Unterbrechung nach Santiago marschieren. Nach Santiago gegangen bin ich die ganze Zeit, aber nächste Woche werde ich dort ankommen. Was also heißt künftig? Auf einem dritten Camino? Ich werde ja hoffentlich nicht süchtig werden, oder? Shelagh würde verärgert reagieren, Hans vernichtend. Ohne groß zu überlegen, hatten wir alle drei eine Wiederholung des Camino entschieden abgelehnt. Wir hatten »Wiederholer« für Eskapisten gehalten, die lieber wochenlang durch Spanien laufen, als ihren Verpflichtungen zu Hause ins Auge zu sehen. Die beiden sind ziemlich neugierig, zu erfahren, wie meine zweite Reise im Vergleich zu unserer gemeinsamen abläuft, ein dritter Camino wäre aber auf jeden Fall einer zu viel. Den müsste ich heimlich, still und leise machen.
    Eine halbe Stunde vor Beginn der Messe, auf die ich sehr gespannt bin, betrete ich als erste Pilgerin die Jakobskirche. Einige Blätter Papier, teils Ausdrucke, teils von Hand beschrieben, geben einen ersten Eindruck von der Philosophie des »äußerst pilgerfreundlichen Priesters«:
    »DIOS (GOTT):
    Gib mir die Gelassenheit, Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann,
    den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
    und die Weisheit, den Unterschied zu erkennen.«
    Ein langes Gebet an den heiligen Jakob wird in vielen europäischen Sprachen wiederholt. Die englische Version ist so verwirrend, dass ich auf die spanische zurückgreife, um mir ein Bild zu machen, was wir Pilger von Santiago erbitten:
    »Señor Santiago, als Pilger vor deinem Bildnis stehend möchten wir beteuern, dass wir wirklich Pilger sind … auf der Suche … nach innerem Frieden und der Fähigkeit zu lieben … Wir suchen die Leitlinien, die wir als Menschen in der heutigen Welt so dringend brauchen; Wertmaßstäbe, nach denen wir unser Leben und uns selbst ausrichten können …
    Danke, Señor Santiago.«
    Das Gebet ist vom Gemeindepriester Augusto Losada López unterzeichnet und mit dem gleichen sello gestempelt, den ich bei meiner Ankunft in mein credencial gedrückt habe – der heilige Jakob mit einem Hut voller Muscheln und seitwärts geneigtem Kopf. Es ist, als würde er überwachen, ob wir uns an das Gebet halten.
    Der heilige Jakob auf dem einfachen retablo hinter dem Altar wirkt ernster. Er wacht über die Gemeinde, die in die Kirche einzieht. Irgendwie habe ich das Gefühl, meine Gefährten wüssten etwas, das ich nicht weiß. Warum sitze ich als einzige Pilgerin in der ersten Reihe? Aber das und vieles andere regelt sogleich Pater Augusto, der aus der Sakristei gerauscht kommt und von der obersten Altarstufe aus die Pilger näher winkt.
    »Ich habe kein Mikrofon!«, blafft er, während seine Assistentin María die widerstrebende Herde in die vorderen Reihen treibt.
    »?Cuantos francéses hay? Wieviele Franzosen sind hier? Deutsch? English?«, ruft er.
    Falls unter uns Franzosen oder Deutsche sind, so geben sie sich jedenfalls nicht zu erkennen, bevor sie wissen, was er mit ihnen vorhat. Ich verhalte mich ebenfalls still, bis das Rätselgelöst ist. Pater Augusto runzelt die Stirn. Eine Italienerin und ein Spanier sind als erste Freiwillige gewillt, die relative Sicherheit der Kirchenbank aufzugeben, um dem Priester auf der »Bühne« Gesellschaft zu leisten. In all meinen Jahren als Lehrerin habe ich niemals jemanden erlebt, der solche Schwierigkeiten hatte, sein Publikum in Griff zu bekommen. Die Pilger sind völlig verunsichert, zwar nicht gerade in Todesangst, aber sie schlottern regelrecht in ihren Sandalen und wünschen, sie wären bereits in Santiago. Unverdrossen ob solchen Wankelmuts schafft es Pater Augusto, ein halbes Dutzend Pilger aus verschiedenen Nationen auf die Holzstühle zu locken, die um den Altar gruppiert sind.
    »¡Venga arriba, más gente!« (Kommt rauf, mehr Leute!), ruft er, bis genügend

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