Ich bin da noch mal hin
angehalten, »als wäre ich David Beckham. Sie sind unsicher, wenn sie mit mir reden, aber ich erkläre ihnen, dass ich ein ganz normaler Mensch bin, bloß eine Biologielehrerin. Also, damit [Berühmtheit] habe ich null Erfahrung.« So also wurde Anne Butterfield berühmt, ohne es auch nur zu ahnen.
Patricias amüsanter Artikel erschien in der heutigen La Voz de Galicia : »Meistgelesene Zeitung in Galicien dank der Beteiligung ihrer Leser«. Doch in Triacastela ist nirgendwo ein Exemplar von La Voz aufzutreiben, und ich erfahre es erst am Mittwoch, 14. Juli per SMS:
»Ich habe in La Voz einen langen Artikel über dich gelesen! Eine ganze Seite! Gratuliere! Hans«
Was habe ich ihr gesagt? Hoffentlich klang es nicht zu eingebildet. Jedenfalls nicht, dass ich so berühmt bin wie David Beckham, oder?
Ich bin in Triacastela, kaum neun Kilometer von meiner letzten Station Fonfría entfernt. Es ist mein erster Ruhetag seit León vor einer Woche, und ich habe Triacastela wegen des faszinierenden Eintrags in meinem 2010er-Lozano gewählt: »Dem heiligen Santiago geweihte Kirche, ein sehr pilgerfreundlicher Priester bietet täglich um 19 Uhr eine Pilgermesse an. 2 Supermärkte, Banken und alle Dienstleistungen.« Gelockt hat mich die Messe, nicht die Supermärkte. Wie kann dieser Priester so »pilgerfreundlich« sein, dass es eigens erwähnt wird? Wo all die anderen schon so freundlich waren? Was ist Besonderes an ihm? Ich hoffe, er belohnt meine Geduld, denn als ich im Hostal Casa David mein plüschiges Zimmer beziehe, ist es erst elf Uhr. Was soll ich ganz allein in diesen zwei Straßen anfangen, bis es losgeht?
Es fällt mir nicht immer leicht, mich nach inspirierenden Abenden in Herbergen und Restaurants auch allein wohlzufühlen. Elli, Ricardo und Francesca waren ganz erstaunt, als ich ihnen gestern Abend im Garten des Reboleira von »Ich bin dann mal weg« und von Patricias Interview für La Voz erzählte.
»Shelagh wurde mal an einem Flughafen von einem Mann erkannt, der das Buch gelesen hatte«, sagte ich. »Danach brauchte sie keines ihrer Gepäckstücke mehr anzurühren. Er trug ihr alles bis zum Ziel.«
»Ich glaub das nicht, unfassbar!«, lachte Elli, die jede Wendung meiner ungewöhnlichen Geschichte genoss. »Und dich kennen die Leute jetzt auch?«
»Ja, so ist es. Ich kenne sie.«
Wir wandten uns erstaunt nach der Pilgerin um, die mit einem Buch am Tisch hinter uns saß. Sie war Deutsche. Elli kreischte noch lauter, so absurd fand sie das Ganze.
Gestern Abend saß ich beim Essen in der Herberge neben der deutschen Pilgerin, Angela. Die geschäftige hospitalera trug riesige Schüsseln Pasta und Rindfleisch von dem Gastronomieherd an unseren Tisch. Angela reichte mir die Weinkaraffe und vertraute mir an, ihre »Engel« hätten ihr befohlen, diese Pilgerreise zu unternehmen.
»Engel? Du glaubst an Engel?«
»Es gibt sie. Sie haben mich 2007, 2008 und jetzt wieder auf den Camino geschickt. Du hast auch welche.«
»Ich muss sagen, dass sie sich bei mir noch nie gemeldet haben. Wo sind sie denn?«
»In einer anderen Dimension.«
Sind nicht vielleicht die Deutschen auf diesem Camino in einer anderen Dimension? Sie begegnen Gott, empfangen Visionen aus der Luft oder stehen in Kontakt mit Engeln. Wie kommt ein englischer Pilger in diese Dimension? Wo ist das Portal zu dieser Welt?
»Hape Kerkeling ist also dein Freund?«, fragte Angela.
»Ja«, antwortete ich in tadellosem Deutsch.
»Ich habe sein Buch auf mehreren Ebenen gelesen. Auf der ersten ist es die Geschichte seines Camino. Auf der zweiten ist es für mich wie ein Ratgeber. Beim dritten Mal habe ich die tiefere Bedeutung erfasst.«
»Ich werde es Hans erzählen. Es wird ihn sehr freuen. Danke.«
Aber »Ich bin dann mal weg« als Ratgeber? Hm. Benutzt Angela jetzt etwa nach dem Vorbild von Hans Züge und Busse, um zur nächsten Station zu gelangen?
Ich bin die einzige Kundin in dem kleinen Supermarkt an der oberen Straße von Triacastela. Ganz gewöhnliches Obst, Gemüse, Brot und Käse kommen mir inzwischen vor wie exotische Lebensmittel aus fernen Landen. Gierig sauge ich jedes Wort aus den Taschenbüchern und Zeitungen auf. Sind das die ersten Anzeichen für eine Sehnsucht, in mein »richtiges« Leben zurückzukehren? Ich setze mich vor eines der vielen Cafés,die die untere Straße säumen, und kann es kaum erwarten, mich mit El País aufs Laufende zu bringen. Noch bevor ich die Titelseite umgeblättert habe, unterbricht mich ein
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