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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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holländischen Freund Bob denken. Der arme Bob. Vier Abende zuvor hatte ich mit ihm und Christina und ihren Söhnen Puyols cabezazo de oro in Villafranca gesehen. Sie hatten nun alle mindestens einen Tag Vorsprung, vielleicht hatten sie das Endspiel in Portomarín gesehen. Unsere amerikanischen Freunde, diese Fußball-Parvenüs, waren sicherlich aus dem Häuschen – Bob abereher nicht. Bestimmt war er genauso erbost über die Entscheidung des Schiedsrichters Howard Webb wie wir. Nur aus einem anderen Grund – ich wagte es gar nicht laut zu sagen, aber … für mich sah Iniestas Tor nach einem Abseits aus. War es nicht abseits? Wenigstens ein kleines bisschen?
    Das unrühmliche Foul war nicht die einzige denkwürdige Szene des Endspiels. Vor Millionen, wenn nicht Milliarden Fernsehzuschauern bezauberte der tapfere spanische Torwart Iker Casillas die ganze Welt, als er bei einem Interview nach dem Spiel die spanische Sportjournalistin Sara Carbonero küsste. Ganz Sarria beklatschte und bejubelte diese ebenso romantische wie kühne Geste und schloss die verlegen dreinblickende Journalistin ins Herz. Spanien war in sich selbst verliebt, und die ganze Welt (abgesehen von Holland) liebte Spanien. Und ich hatte das Glück, gerade in diesem Moment in Spanien zu sein. Zumindest empfand ich es als Glück.
    Ich hatte vergessen, dass in Sarria Pilgertouristen zu Hunderten (gefühlt eher zu Tausenden) ihren Camino beginnen. Daher war die Herberge bereits belegt, als ich am Sonntagnachmittag dort ankam. Ich nahm mir also im Café Escalinata ein Zimmer direkt über dem Hocker, auf dem ich dann das Spiel verfolgte. Mein »Gelbes Buch« hatte mich gewarnt, dass das Rinnsal der Pilger, die in Roncesvalles starten, entlang des Camino ständig anschwillt, bis es in Galicien zu einem reißenden Strom wird. Warum aber ist von all den vielen Orten, an denen Pilger ihren Camino beginnen, der Zulauf ausgerechnet in Sarria so groß? Die simple Erklärung ist, dass die Pilger die compostela , die Anerkennung für ihren credencial mit den sellos , nur unter einer Bedingung erhalten: Ganz gleich, von wo und wie ein Pilger gestartet ist, die letzten hundert Kilometer muss er zu Fuß und ohne fremde Hilfe zurückgelegt haben. Sarria liegt hundertvierzehn Kilometer von Santiago entfernt, wer also die fünf Etappen von hier aus marschiert, der wird als Pilger anerkannt und erhält seine compostela . Und da dies ganz Spanien und die halbe Welt wissen, fallen die Leute scharenweise in Sarria ein.
    Während meiner einsamen zwei Tage hinter Sahagún sehnte ich mich nach Gesellschaft und verließ sogar den Weg durch den páramo , um welche zu finden. Aber dies hier kommt mirnicht mehr wie eine Pilgerwanderung vor. Richtige Pilger, das sind Leute wie Alison und Ian, die ihre Wanderung in England begonnen haben, Christian, der von Rom aus aufgebrochen ist, oder Britte, achtundsechzig, die sich in Paris aufs Fahrrad geschwungen hat – sie alle sind auf dem Weg der Wanderer unterwegs, ebenso Mara, die auf ihrem Pferd Secret in Zürich losgeritten ist, die Franzosen mit den Behindertenrikschas in Triacastela sowie all die Normalsterblichen, die ihren Camino in Saint-Jean-Pied-de-Port beginnen, ja sogar jene, die erst in Burgos oder León dazustoßen.
    Gestern musste ich bereits fünf Kilometer hinter Sarria in Barbadelo in der Santiago geweihten Kirche Schlange stehen, um mir meinen sello abzuholen. Schlange stehen! Normalerweise schlendere ich zu dem Tisch, wo Stempel und Stempelkissen bereitliegen, und drehe den sello erst einmal in den Fingern hin und her, damit der Abdruck in meinem credencial nicht auf dem Kopf steht. Für solche Mätzchen ist jetzt keine Zeit. Das große Rennen nach Santiago hat begonnen. Erst nachdem ich mich durch ein Rudel christlicher Pfadfinder aus Belgien zum Ausgang durchgekämpft habe, kann ich den sello in Ruhe betrachten. Es zeigt den heiligen Jakob, wie er auf einem Pferd durch die Lüfte reitet, mit gezücktem Schwert und wehendem Banner in seiner umstrittenen Pose als Matamoros (Maurentöter). Aber wieso eigentlich umstritten? Santiago wusste, was er tat. Wie wäre er sonst durch diese Menschenmassen von Sarria nach Santiago gekommen?
    Ganz ohne fliegendes Pferd, nicht einmal mit einem normalen, das auf den Namen Secret hörte, kämpfte ich mich wie ein Stier in Pamplona die nächsten acht Kilometer durch den Mahlstrom bis Ferreiros. In einem Café namens Casa Cruceiro machte ich Rast, um eine Suppe zu essen und mich ein

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