Ich bin da noch mal hin
Allerdings diesmal nicht auf dem Fußweg, denn Lozano warnt: »Eine Etappe, die auf weiten Strecken für Fahrräder nicht geeignet ist. Um diese nicht befahrbaren Wegstrecken zu überwinden, kann man der Landstraße C-135 folgen, die durch Burguete, Espinal, Viscarret, Zubiri und Larrasoaña führt.« Ich versuche eine schlechte Vorahnung zu ignorieren, die ich nicht recht einordnen kann, und nehme meinen Weg wieder auf. Auf der C 135 durchfahre ich die hübschen Dörfer Espinal und Viscarret mit ihren weiß gekalkten Häusern, zwischen denen ich damals zu Fuß herumgeschlendert bin, um mir die sellos zu holen. Die anderen Pilger, das weiß ich, stapfen zu meiner Rechten durch Wälder und Felder, aber ich kann sie weder hören noch sehen. Ich bin allein in einer eigenen Welt.
Den Wanderweg sehe ich am Gipfel des Puerto de Erro wieder, wo er zwischen Eichen und Pinien die Straße kreuzt. Ich warte ein paar Minuten, bis sich mein Atem beruhigt hat, aber da sich kein Pilger zeigt, mit dem ich reden könnte, fahre ich nonstop weiter bis Larrasoaña. Inzwischen regnet es in Strömen, und ich lehne das Rad gegen eine Hausmauer, um in meinem englischen Pilgerführer, dem »Gelben Buch«, nach einer Unterkunft zu suchen. Gibt es in der Gegend was? Ja, einen Ort namens La Trinidad de Arre, dreizehn Kilometer von hier, mit einer Herberge im Kloster! Oh, das klingt wonnevoll, genaudas Willkommen, das ich nach den Prüfungen des heutigen Tages brauche. Es ist bestimmt wunderschön. Klar, ich habe es noch nicht gesehen, aber schon allein der Name La Trinidad de Arre hat etwas Anheimelndes.
Die ebene, schnurgerade Straße dehnt sich schier endlos vor mir aus, doch ich konzentriere mich ausschließlich auf den schmalen Randstreifen, um nicht auf dem nassen Asphalt ins Rutschen zu kommen und vom nächsten überholenden Lastwagen überrollt zu werden. Ich halte erst an, als an einem riesigen Kreisverkehr Schilder nach Pamplona und Madrid weisen. Madrid? Wie weit bin ich eigentlich schon gefahren? Wo ist Trinidad? Ich muss es finden. Also mache ich kehrt und schiebe mein Fahrrad zurück zu dem LKW-Rastplatz, den ich ein paar Minuten zuvor passiert habe. »¡Hola! ¡Hola! Señor, por favor, me puede ayudar? He perdido mi carretera« (Hallo, mein Herr, können Sie mir bitte helfen? Ich habe mich verfahren), rufe ich einem Arbeiter zu, der heranschlendert und sich dabei die Hände an einem schmierigen Tuch abwischt. »Bin ich hier in der Nähe von Trinidad?«
» Sí, sí . Es ist nicht weit. Nur noch drei Kilometer.«
»Wie komme ich hin?«
»Fahren Sie am Kreisverkehr rechts …«
»Am Kreisverkehr? Aber ich will nicht nach Pamplona.«
»Keine Sorge. Fahren Sie am Kreisverkehr rechts«, wiederholt er geduldig und hebt einen Stein auf, mit dem er seine Wegbeschreibung auf das Mäuerchen unter dem Stacheldraht zwischen uns aufzeichnet. Wir müssen aussehen wie zwei Gefangene, die ihre Flucht planen.
»Dann geht’s bergauf, Richtung Pamplona …«
»Bei dem Verkehr? Ist das nicht gefährlich?«, jammere ich.
»Nein, das geht schon. Halten Sie sich am Rand, es ist nur ein Kilometer. Dann biegen Sie rechts ab auf die Straßenüberführung nach Arre. Dort fragen Sie noch einmal und lassen sich die Unterführung nach Trinidad zeigen.«
Unterführung? Überführung? Das ist ein Albtraum. Bin ich hier auf dem Camino oder in Miami? Mit dem Rad die Überführung zu befahren ist mit Sicherheit der gruseligste Teildieses Tages. Die Schwertransporter überholen in so knappem Abstand, dass sie fast meinen linken Ellbogen streifen. Ich bekämpfe die Anspannung mit der permanenten Wiederholung des heutigen Mantras: »Es könnte schlimmer sein.« Zum Beispiel regnet es nicht mehr, und ich bin meinem Ziel schon ganz nah, wenn der Arbeiter recht hat.
Der Rastplatzarbeiter behält in allem recht. Ein Tankwart in Arre zeigt mir, wo es zu der Unterführung geht, die fast sofort auf eine ruhige Straße beim Kloster führt. Die Überführung mit dem endlosen Verkehrsstrom liegt hinter mir und Trinidad de Arre entspricht genau meinen Hoffnungen. Ich bin inzwischen so müde, dass ich das Fahrrad auf der steilen Rampe zum Kloster hinunter kaum mehr halten kann. Was haben diese Herbergen eigentlich gegen uns Radfahrer, dass sie uns solche Hindernisparcours absolvieren lassen, um überhaupt den Eingang zu erreichen?
Ein kleiner, gepflegter Mann mit Glatzenansatz, der in seinem karierten Hemd und der rehbraunen Jacke sehr schick aussieht – ganz im
Weitere Kostenlose Bücher