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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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hat, wegen irgendwelcher Magnetfelder oder weil er direkt unter der Milchstraße verläuft, dass ich es aufgab, das Spirituelle vom Pseudo-Spirituellen unterscheiden zu wollen und einfach immer weiterwanderte. Hans und ich erklärten solchen gutgläubigen Pilgern gern, dass die ganze Erde unter der Milchstraße liegt, also natürlich auch der Camino.
    Der kleine Mönch schaltet zum Zeichen, dass der Gottesdienst beendet ist, das Licht in der Kapelle aus, ein Hinweis auch darauf, dass wir laut Regelwerk Trinidad um acht Uhr verlassen haben müssen. Wie ist das möglich, wenn man duschen, sich anziehen, zur Kirche gehen und noch seine Sachen packen will? Mir bleiben ganze fünf Minuten, und ich habe noch keinen Bissen gefrühstückt. Daran werde ich mich nie gewöhnen. Der große Schlafsaal war schon verlassen, als ich ihn auf dem Weg zur Kapelle in Windeseile durchschritt – also sparten sich viele Pilger das Morgengebet, um möglichst früh aufzubrechen. Offenbar verlieren sie bereits den Sinn des Camino aus den Augen, vielleicht haben sie ihn auch noch gar nicht erfasst, auf jeden Fall aber verstehen sie mehr vom Multitasking als ich.
    Die Klamottenaufräumerin hat ebenfalls auf das Morgengebet verzichtet und macht sich gerade mit einer älteren Frau auf den Weg, als Sabine und ich zu unserem Schlafsaal zurückkommen.
    »¡Hola!«, rufe ich ihr fröhlich zu, um ihr zu zeigen, dass ich nicht nachtragend bin. Als Antwort blitzt sie mich nur kurz an. Ich versuche mein Glück bei anderen und frage sie, warum sie sich auf den Camino gemacht haben. Sabine, die bereits ihren Rucksack umschnallt, während ich noch Tasche Nr. 1 fülle, vertraut mir an, dass sie nach diversen Rückschlägen einen Neuanfang versucht. Die amerikanische Pilgerin verarbeitet den fünf Monate zurückliegenden Tod ihres Ehemanns. Da könnte es etwas oberflächlich erscheinen, wenn ich enthüllen würde, dass ich nichts anderes zu verkraften habe als den Camino vom Vortag, also schweige ich lieber.
    Moisés scheint nicht im Geringsten verärgert darüber, dass ich morgens um neun Uhr Haferbrei koche. »¡Oh qué alegría! ¡Menos mal!« (Oh, wundervoll! Phantastisch!), ruft er aus, als ich mein Handy in die Höhe halte.
    Er kann sich sehr spontan mit anderen identifizieren, etwas, woran ich seit Jahren arbeite, und ist einer jener Menschen, die ihre Herzlichkeit eher Gott und ihrem Glauben als sich selbst zuschreiben. Oder ist es einfach nur die für Navarra typische Herzlichkeit? Er betrachtet seine Aufgabe als mein persönlicher hospitalero noch nicht als erledigt und verschwindet, als ich ihm von meinen Problemen mit der Gangschaltung erzähle. Nach einer halben Stunde kommt er mit der Auskunft zurück, dass der Zweirradmechaniker des Ortes kürzlich verstorben ist, und rät mir, in der nächsten Stadt, dem an Pamplona angrenzenden Burlada, nach einem Fahrradladen Ausschau zu halten.Damit verhilft mir der »barmherzige Samariter« Moisés zu einem hervorragenden Start in den Tag. Zehn Uhr ist ziemlich spät für den Aufbruch, aber das ist nicht seine Schuld, sondern meine.
    In Burlada springen auf der Calle Mayor nach hundert Metern die Läden aus dem Pflaster wie die Skelettkrieger in dem Kostümschinken »Jason und die Argonauten«. Wo eben noch Wohnhäuser die Straße säumten, steht man auf einmal inmitten von Cafés und Läden. Hier hätten Hans und ich sicher gerne ein paar Stündchen verweilt, doch ich habe nur den »Fahrradschrauber« im Kopf. Eine freundliche Apothekerin kommt auf meine Frage hin hinter dem Ladentisch hervor, nimmt mich bei der Hand und zeigt mir ein rotes Gebäude bei einem Springbrunnen. Dort arbeitet er. Julio. Die Kette auf das große plato (Zahnrad) zu bringen war gestern ungefähr so schwer, wie einen Elefanten über die Alpen zu bugsieren, erkläre ich ihm. Aber er ist ein Profi und muss gar nicht erst durch Jammergeschichten motiviert werden. In Windeseile hat er den gerissenen Schaltungszug gegen einen neuen ausgetauscht. Die Kette springt nun wieder munter auf leichten Daumendruck von plato zu plato . Ein Wunder! Ich kann das Rad nicht schnell genug aus dem Laden rollen, um Julio davon abzuhalten, mir dabei zu helfen, die Satteltaschen zu befestigen. Herrje, nein, bitte, sag es nicht! Julio, bitte. Zu spät.
    »¡Phugh! ¡Pesa mucho!« (Oh, ist das schwer!)
    Mit derart gestärktem Selbstvertrauen radle ich die lange Einkaufsstraße von Burlada entlang. Eine scharfe Rechtskurve führt mich zu der hohen Mauer

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