Ich bin da noch mal hin
111 geblieben?«
»Wo wollen Sie denn hin?«
»Nach Puente la Reina, über die N 111. Wo verläuft die denn?«
Die Polizisten schauen mich an, als wäre ich ET und hätte sie gerade gefragt, wo’s denn hier nach Hause geht. Und da wäre ich jetzt auch am liebsten: zu Hause.
»Kann ich mal in das Buch reinschaun?«, fragt der eine.
Sie studieren ausführlich den dort eingezeichneten Verlauf der N 111, der von Cizur Mayor nach Puente la Reina führt. »Wie alt ist denn dieser Führer?«, fragt der eine, angesichts der Umstände eine naheliegende Frage.
Zu dritt suchen wir auf den hinteren Seiten nach der Ursache meiner misslichen Lage.
»Oh, schauen Sie mal, 1999!«, sage ich schnoddrig. »Dann ist er also … elf Jahre alt.«
Die beiden Polizisten, denen inzwischen klar geworden ist, dass es nichts bringt, mich weiter zu verhören, nehmen die Angelegenheit nun entschlossen in die Hand.
»Gute Frau, die N 111 gibt es nicht mehr. Sie müssen durch das Wohnviertel hier und runter auf die Autobahn …«
»Was? Auf die Autobahn? Im Ernst?«
Ich stehe kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Das kann nicht wahr sein.
»Ja, aber nur ein kleines Stück bis zur nächsten Ausfahrt, Nummer 6. Dort kommen Sie über eine Brücke auf die N 6004 Richtung Galar, von der Sie auf die Na 1110 nach Puente abbiegen können.«
Der Polizist zeichnet mir den Weg in die Karte ein und lässt mich seine Anweisungen wiederholen.
»¡Si! Das finden Sie schon. Kein Problem«, versichert er mir.
Kein Problem? Kein Problem für wen? Über die Schultern der Polizisten hinweg kann ich in der Ferne die Windmühlen auf dem Weg der Wanderer ausmachen und muss an den großen Klassiker der spanischen Literatur denken.
»Ich komme mir vor wie Don Quixote«, sage ich mit bemühter Tapferkeit.
»¡Buena suerte!« (Viel Glück!) »¡Buen Camino!«, verabschieden sie sich aufmunternd und mit Handschlag.
Mir wäre wohler gewesen, wenn sie mich samt meinem Rad in ihr Auto gepackt und nach Puente la Reina gefahren hätten. Aber auf die Idee sind sie nicht gekommen. Also radle ich durch die Wohnsiedlung und dann auf die Autobahn.
Wie sich herausstellt, muss ich nur etwa zweihundert Meter weit auf der A 12 entlangfahren. Ein Geheimtipp für Selbstmörder. Lastwagen und Ausflügler donnern links an mir vorbei,während ich krampfhaft versuche, mit dem Rad auf dem handtuchschmalen Seitenstreifen zu bleiben. Starr vor Panik halte ich den Blick auf die vor mir liegende Ausfahrt gerichtet, die mich bald aus dieser Gefahr erlösen wird. Ich mache es einfach wie das Kind, das sich angesichts seiner schimpfenden Mutter die Finger in die Ohren steckt und ruft: »Ich kann dich nicht hören, ich kann dich nicht hören!« Wenn ich den brausenden Verkehr einfach nicht beachte, kann er mir auch nichts antun, oder?
Meine Erleichterung über die Ausfahrt ist allerdings von kurzer Dauer. Wie ich feststellen muss, handelt es sich um eine einzige enge Spur, und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Autos und Lastwagen, die hinter mir mit Überschallgeschwindigkeit herangedonnert kommen, mich hier nicht einfach über den Haufen fahren. Es gilt also, die Kreuzung am Ende der Ausfahrt zu erreichen, bevor mich ein Fahrzeug unsanft dort hinschiebt. Jetzt oder nie. In den Pedalen stehend breche ich den Weltrekord im Zeitfahren in der Kategorie »Frauen über fünfzig mit drei voll beladenen Gepäcktaschen«.
Ein modernes Brückenbauwerk mit hellroten Geländern spannt sich über die Autobahn, die N 6004 Richtung Galar. Dem Wahnsinn der Autovia del Camino de Santiago, wie dieses Asphaltband allen Ernstes heißt, entronnen, lehne ich mein Rad an ein Haus, das einsam und verlassen an der Kreuzung steht, und studiere die Liste der Herbergen, die Wim mir gegeben hat. Ungefähr vierzehn Kilometer dürfte ich bisher geschafft haben. Es ist drei Uhr. Vierzehn Kilometer in fünf Stunden, das heißt, dass ich 2,8 Kilometer pro Stunde zurückgelegt habe. Weniger als ein Fußgänger. Klar, das ist die Durchschnittsgeschwindigkeit unter Einrechnung der Pausen. Wenn ich erst mal losradle, bin ich ziemlich flott. Allerdings passiert das so selten. Es sind immer noch fast dreizehn Kilometer bis Puente la Reina und zwanzig weitere bis Estella. Ich schürze die Lippen, kneife die Augen zusammen und frage mich, ob Puente für heute nicht reichen würde. Das wären dann immer noch vier offizielle Etappen in zwei Tagen. Ich bin allerdings zu groggy, um mir noch zu überlegen, ob denn zwei
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