Ich bin da noch mal hin
links und erreichen die terrassenförmig ansteigenden Häuser, die sich wie eine rötlich-weiße Pyramide aus dem Boden Navarras erheben. Vor neun Jahren hat mich mein Weg durch Weinfelder in dieses mittelalterliche Städtchen geführt. Damals gab es dort keine Herberge, doch jetzt weist ein Schild auf die Albergue Maralotx hin. Der Weg zwischen den rötlich verputzten Häuser hindurch zur Kirche von San Román kommt mir steiler vor als mein Aufstieg zum Gipfel des Mount Kinabalu auf Borneo vom Dezember. Ich überlege, ob ich Hans eine SMS mit dem Vorschlag schicken soll, eine Kabelbahn für diese Straße zu spenden. Aber er würde sicher denken, ich will ihn auf den Arm nehmen. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ich es schaffe, mein Fahrrad diese Straße auch nur hinaufzuschieben. Ben und ich tauschen auf seinen Vorschlag hin die Räder. Ich schiebe sein federleichtes Gefährt, mir ist, als könnte ich es mit dem kleinen Finger hochheben, und ziehe schon den Kopf ein, denn er sagt es bestimmt gleich. Nein, bitte, bitte, nein, sag es nicht! Ben, nein! Zu spät. Er sagt es.
»Oh, ist das schwer!«
Die schmucke Albergue Maralotx steht gegenüber der Kirche San Román am Rande eines kleinen Platzes auf dem höchsten Punkt des Dorfs. Beim Abendessen in einem von Laternen erleuchteten Keller herrscht nahezu babylonisches Sprachgewirr um uns herum. Ben und ich sitzen mit drei Französinnen am Tisch, hinter uns hat eine Gruppe deutscher Pilger Platz genommen, die sich angeregt die Tagesereignisse erzählen. Wir tun es ihnen zwischen Bohnensuppe, Fleischeintopf mit Nudeln und Flan gleich. Die entzündungshemmenden Tabletten, die ich auf Anraten von Ben gekauft habe, spüle ich mit etlichen Gläsern Rotwein hinunter. Sie versetzen mich in die richtige Stimmung, um mit unseren Reisegefährten ins Gespräch zu kommen. Wir reichen unsere Kameras herum. Ein schwer zu deutendes Foto weckt mein Interesse.
»Was ist das?«, frage ich die drei Frauen aus Marseille.
Sie schauen blinzelnd auf den Bildschirm und wundern sich über die Frage.
»Pfft!«, winkt Monique in dieser typisch französischen Art ab. »Je ne sais quoi. Isch ’abe kein Idee. Die sind ’ier überall.«
Die Frauen schauen mich komisch an, irgendwas scheint mit mir nicht zu stimmen.
»Ähm, die sind in all die Feld und ’ecken. Isch weiß nischt wie ’eißen auf Englisch«, erklärt Monique, ebenfalls verblüfft über meine Unwissenheit.
»Aha, das erklärt es schon. Ich bin nicht an Feldern und Hecken vorbeigekommen.«
Ben legt den Kopf schief, um einen Blick auf den Bildschirm der Kamera zu erhaschen.
»Meinst du etwa die Blumen da?«, fragt er.
»Blumen? Macht keine Witze! Wollt ihr etwa behaupten, es gibt Blumen am Camino? Das glaube ich nicht. Auf meinem Camino gibt es nur Autobahnen und brausenden Verkehr. Schaut!«
Zum Beweis zeige ich ihnen die Bilder von meiner Kamera, und sie lachen mitfühlend über meine Misshelligkeiten, aber auch ein wenig erleichtert darüber, dass ich doch nicht verrückt bin.
Eine der deutschen Frauen am Nebentisch hat im Schlafsaal das Bett neben mir. Ich ergreife die Gelegenheit, mich noch ein wenig zu unterhalten, denn wahrscheinlich werde ich morgen wieder kaum einem Pilger begegnen.
»Darf ich dich fragen, warum du den Camino machst?«, beginne ich etwas unvermittelt, ohne mich überhaupt vorgestellt zu haben.
»Gerne«, antwortet sie lächelnd. »Mein Mann ist ihn 2005 entlanggepilgert, nun bin ich an der Reihe.«
»Macht es dir Spaß?«
»Oh ja, es ist wunderbar. Heute war ich in Eunate, das war besonders toll.«
»Aha? Inwiefern?«
»Ich war barfuß und konnte die Energie all der Pilger spüren, die vor mir da gewesen waren.«
»Tatsächlich? Das kann ich von mir nicht behaupten«, meine ich bitter und wechsle das Thema: »Entschuldigung, wie heißt du eigentlich?«
»Barbara. Und du?«
»Anne. Ich bin Engländerin. Ich komme aus Liverpool.«
»Und ich komme aus Bayern.«
»Wie bist du auf die Idee gekommen, den Camino zu machen, Barbara? Hast du viel darüber gelesen?«
»Nein, gar nichts. Außer dem Buch von Hape Kerkeling natürlich, aber da stand mein Plan schon fest.«
»Ah, ich kenne das Buch. Hat es dir gefallen?«
»Es ist einfach phantastisch!«, fährt Barbara fort. »Er ist so ein großartiger Komiker, in Deutschland kennt ihn jeder. Er hat sich ganz allein auf den Camino gemacht und dort zwei Frauen kennengelernt, mit denen er dann zusammen bis nach Santiago de
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