Ich bin da noch mal hin
ich würde mit meinem Fahrrad auch den richtigen Camino fahren, einfach den gelben Pfeilen folgen. Aber es ist alles anders.«
Wenn Gonzalo nun irgendein Zeichen von Verdruss oder Geringschätzung zeigt, werde ich augenblicklich in Tränen ausbrechen. Aber er bückt sich hinter seinem Tresen und taucht mit Landkarten der Provinzen La Rioja und Burgos wieder auf. Er faltet die beiden Karten auseinander, legt sie übereinander und wir studieren gemeinsam den aktuellen Verlauf des Camino in La Rioja.
»Die Straße, die Sie von Logroño aus nehmen müssen, ist die N 120«, erklärt er.
Selbst mit meinem leicht vernebelten Blick erkenne ich, dass große Strecken der wichtigen Route A 12 heißen.
»Aber …«, platze ich heraus und drücke meinen Finger fest auf eine gefährlich dicke Linie.
»Sí«, unterbricht mich Gonzalo. »Die A 12 hat inzwischen an mehreren Stellen die N 120 ersetzt. Diese Abschnitte werden Sie umfahren müssen.«
»Und wie soll ich das anstellen?«
»Bitten Sie jeden Morgen den hospitalero , Ihnen die beste Fahrradstrecke für den jeweiligen Tag zu beschreiben. Die kennen sich in der Umgebung aus.«
»Und Burgos? Wie ist es dort?«
Gonzalo schwenkt die obere Karte beiseite wie ein Matador den roten capote de paseo , und darunter kommt Burgos zum Vorschein.
»Ja, da sieht es besser aus. Dort wurde mit dem Bau der A 12 gerade erst begonnen, die N 120 existiert fast überall noch. Da werden Sie viel besser zurechtkommen.«
»Aber der Camino, wo ist der?«
»Hm. Hier.«
Meine Hoffnung, in der nächsten Provinz könnte alles besser werden, zerschlagen sich, als ich die riesige Entfernung zwischen der N 120 und dem Camino erkenne. Unüberbrückbar wie der Grand Canyon.
»Ja, das bleibt ein Problem für Sie. Der Camino liegt stellenweise zwanzig Kilometer von der Straße entfernt.«
»Eine Fahrradroute ist schon mal nicht schlecht. Aber das ist nicht der Camino, richtig?«
»Genau. Der Weg für die Fahrräder ist distinto (ein ganz anderer).«
»Die einzige Lösung wäre, auf dem Camino selbst zu radeln, oder? Aber mein Fahrrad taugt nur für die Straße und mein Gepäck ist viel zu schwer.«
»Und Sie sind jetzt zehn Jahre älter.«
»Neun.«
Wir schütteln einander die Hand und ich danke ihm für seine wertvolle Hilfe.
»Das ist mein Job«, wehrt er bescheiden ab.
»Na, Sie machen ihn jedenfalls großartig. Ich werde heute eine schwerwiegende Entscheidung treffen müssen. Ich glaube, ich weiß schon, was ich tun werde.«
»Viel Glück. ¡Buen Camino!«
Ich könnte mir die Haare raufen und mit den Zähnen knirschen, so wütend bin ich über meine Riesenblödheit. Voll Trauer um meinen verlorenen Camino schleppe ich mich vorwärts. Bei Planeta Agua, einem Laden an der Avenida Navarra, der Wanderer mit »allem, was man für einen buen Camino braucht« ausrüstet, bleibe ich stehen, um mir die Öffnungszeiten zu merken. Ich werde zu Fuß weitergehen. Jetzt oder nie. Gleich von hieraus, denn Logroño ist eine große Stadt, in der ich alles kaufen kann, was ich für einen »buen Camino« brauche, und wo ich das Fahrrad in Blancas bodega abstellen kann. Bei unserer kurzen Begegnung gestern Abend schien sie Radfahrern gegenüber aufgeschlossen – zum Beispiel müssen wir nicht auf ein Bett warten, bis alle Wanderer bedient sind. Außerdem hat sie mir eine weitere Übernachtung angeboten, so als wüsste sie, dass ich mit mir kämpfe. Wenn nötig, werde ich vor ihr auf die Knie sinken. Dabei kann ich die momentan nicht einmal beugen.
Ich marschiere direkt in die Calle de los Portales, um mir in einem Buchladen namens Cerezo Inspiration zu holen. Seltsamerweise fühle ich mich nämlich nach meiner folgenschweren Entscheidung keineswegs erleichtert.
»Wo ist die Abteilung über den Camino?«, frage ich einen Angestellten, der, den Arm voller Bücher, auf einer Leiter steht.
Er führt mich zu den Reiseführern und beginnt sie aus dem Regal zu ziehen. Aber die Hilfe, die ich brauche, werde ich nicht in einem weiteren Führer finden. Ich habe ein spezielles Buch im Kopf.
»Entschuldigen Sie, ich meinte nicht die Führer. Haben Sie ein Buch von Hans-Peter Kerkeling? Über seine Pilgerreise auf dem Camino?«
»Mehr so ein Roman?«
»Ja, so was Ähnliches.«
»Bitte, hier ist es. Der Autor ist Deutscher, nicht wahr?«
»Ja, das ist er.«
Ich habe noch nie eine spanische Ausgabe von Hans’ Buch – es heißt hier »Bueno, me largo« – in der Hand gehabt, und er vielleicht auch nicht.
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