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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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hielt. Allerdings war die grauhaarige, kräftige Frau, die die credenciales abstempelte, nicht Doña Felisa, sondern ihre Tochter María. Zwei rote Herzen in einem Kranz gelber Sonnenstrahlen zierten ein lackiertes Holzbrett, das an einen kurzen Pflock montiert war. Das Schild warb: »Feigen, Wasser und Liebe«, doch unter einem gezeichneten Krug Wasser mit Feigenblatt waren Neuigkeiten gekritzelt: »Früher Felisa. Jetzt Maria. Brot, Feigen und Liebe«. Was mochte mit Doña Felisa geschehen sein? Ich hoffte, sie war eines natürlichen Todes gestorben und nicht etwa der A 13 zu nahe gekommen. Und was war mit dem Wasser passiert? Nach den Softdrinks in Dosen zu schließen, die an einer Schnur vom Baum baumelten, hatte sich die Privatisierung der Betriebsmittel zwar auf Marías Freigebigkeit ausgewirkt, nicht aber auf ihr Erbe. Sie stempelte mein credencial mit der gleichen Autorität und gravitas wie ihre verstorbene Mutter, deren Name immer noch und wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit den sello ziert.
    Einst habe ich mich gefragt, welchen Sinn Felisas, heute Marías, eigentümliche Straßensperre hat. Jetzt nicht mehr. Logroños Hauptunterkunft an der Rúa Vieja war rappelvoll mit frisch aussehenden Pilgern, die ihre Füße in den Brunnen im Hof hängten. Dank Felisas, heute Marías Werbung war ich mit einer Alternative gerüstet. Auf Felisas, heute Marías Tisch war mir ein Stapel leuchtend gelber Werbezettel einer Herberge ins Auge gefallen, und ich hatte nur für den Fall des Falles einen in meine Satteltasche gesteckt. Der Fall war eingetreten, und so radelte ich hoffnungsfroh die Calle San Francisco entlang zu der Adresse, die auf dem kostbaren Faltblatt angegeben war.
    Die Albergue Puerta del Revellín an der Plaza Martínez Flamarique 4 ist ein Geschenk des Himmels – eine nagelneue Herberge auf dem Gelände der ehemaligen Stierkampfarena, vom Himmel gesandt, um den Pilgerüberschuss in Logroñoaufzunehmen. Betrieben wird sie von einer kleinen, äußerst energischen Unternehmerin, Blanca. Unter ihrem Anorak muss eine Bullenhitze herrschen, denn sie geht ihren Verrichtungen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit nach. Innerhalb von zehn Minuten nach meiner Ankunft hat sie mein Fahrrad in der bodega verstaut, mir ein Bett an der Wand zugewiesen, mich durch die Duschanlage geführt, mein credencial gestempelt, mir am Tresen einen Stadtplan herausgekramt, ihre persönlichen Empfehlungen, wo man hingehen, was man sich ansehen und was man tun sollte, heruntergespult, mir ein Stück Kuchen serviert und mir erklärt, ich sei wirklich tapfer, allein zu radeln, aber ich sähe so müde aus, dass ich, wenn ich wollte, auch eine Nacht länger bleiben könne.
    Ich bin tatsächlich müde, sehr, sehr müde. Die Hocker und Tische um mich her in der Bar Parlamento füllen sich mit Arbeitern, die sich nach einem langen Tag entspannen. Nur zu gern würde ich mich länger in ihrer anonymen Gesellschaft aufhalten, aber ich muss irgendwo in der Nähe der Herberge essen. Also trinke ich mein Weißbier aus, lese den jüngsten Verriss der Leistung unseres Torhüters Robert Green und mache mich dann auf in Richtung von Blancas Herberge. Die Lokalzeitung Qué Es La Rioja berichtet, die englische Presse habe »›Calamity Green‹ (den Katastrophen-Green)« nach seinem »kapitalen und schrecklichen Fehler gekreuzigt«. Kapital? Schrecklich? Ach, wirklich? Er hat einen Ball ins Netz gelassen, mehr nicht. England hat das blöde Spiel noch nicht einmal verloren. Warum schiebt man Robert alle Schuld zu? Für dieses spektakuläre Versagen ist das gesamte Team verantwortlich, nicht er allein.
    Im Restaurant El Albero in der Nähe von Blancas Herberge sehe ich ein unverdientes Unentschieden zwischen Italien und dem glücklosen Paraguay und frage mich, wem die italienische Presse wohl dafür die Schuld geben wird. Und wen kann ich für meinen persönlichen viacrucis , den Kreuzweg, der mein Camino bislang war, verantwortlich machen? Niemanden. Es ist alles ganz allein meine Schuld.

Dienstag, 15. Juni 2010
    Tag der Entscheidung in Logroño
    Ich liege in der unteren Koje eines Doppelbetts im einzigen Schlafsaal von Blancas Herberge, finde keinen Schlaf und habe das Gefühl, überhaupt nie wieder schlafen zu können. Mir ist viel zu heiß in meinem Schlafsack, aber ich rühre mich nicht, um Sabine im Nachbarbett nicht zu wecken. Eigentlich bräuchte ich dringend eine kalte Dusche, doch mit der Aktion würde ich vierzig schlummernde Pilger

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