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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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Hähnchen von seinem Teller, und es wuchsen ihnen Federn. Sie flogen krähend und gackernd herum und bestätigten so die Unschuld des Jungen. Das ist der Ursprung des volkstümlichen Kurzgedichts, das sich auf diese Stadt bezieht:
    »Santo Domingo de la Calzada,
    Que cantó la gallina después de asada.«
    (Sankt Dominik der Pflasterstraße,
    wo gackert die Henne, nachdem sie gebraten.)
    Der weiße Hahn und die Henne in dem schön gestalteten Hühnerhaus gegenüber von Santo Domingos Mausoleum sind nicht die gleichen, die 2001 während der Messe gekräht haben. Die Hühner spazieren immer nur jeweils vierzehn Tage in dem speziellen Vogelhaus über den Touristen, Pilgern und Gläubigen herum, dann wechselt die Besetzung. Heute benehmen sie sich tadellos, kein Gackern oder Krähen übertönt die emporsteigenden Gesänge des berühmten Chors Media Luna (Halbmond) aus Pamplona, der bei der Messe in der brechend vollen Kirche Volkslieder in vielen Sprachen zum Besten gibt. Die Hühner wissen sich zu benehmen – und wagen es nicht, mitVersen von Federico García Lorca oder mit der Schönheit der baskischen Sprache konkurrieren zu wollen. Sie fürchten wohl auch den Zorn des eifernden jungen Priesters. Genau wie ich. Er schlägt sich so heftig an die reuevolle Brust, als wollte er sie zertrümmern, und starrt die Hostie so erbittert an, dass ich fast glaube, er hat eine Vision.
    Nach der Messe bestelle ich in der Bar Dados die Spezialität des Hauses, einen Pilzteller. Vorsichtig steche ich mit der Gabel in einen Pilz (damit ich nicht allzu sehr erschrecke, wenn er wieder zum Leben erwacht), als sich ein Einheimischer neben mich setzt.
    »Wie alt sind Sie? Fünfundfünfzig?«, fragt er ohne Umschweife.
    »Äh, nein, nicht ganz. Zweiundfünfzig«, entgegne ich und schiebe die Schuld für meine offenbar rapide Alterung auf die Strapazen des Camino.
    »Ach, das ist doch gleich. Von jetzt an geht es nur noch bergab. Wenn du der Mann bist, kannst du der Frau nicht geben, was sie will. Wenn du die Frau bist, kannst du dem Mann nicht geben, was er will. Dagegen kann man gar nichts machen.«
    »Aber es gibt noch andere Dinge im Leben«, erkläre ich. »Das Leben ist wunderschön. Der junge Priester hat in der Messe mit großer Begeisterung über die Ehe gesprochen. Er hat in alles so viel Gefühl hineingelegt.«
    »Na klar, er muss an seine Karriere denken. Er weiß genau, was er sagen muss, um ganz nach oben zu kommen. Polizei, Kirche, alles eine Soße.«
    »Wie meinen Sie das?«, frage ich, erschüttert über so viel Zynismus im Zentrum des frommen Wirkens von Santo Domingo.
    »Kennen Sie die neue Herberge?«
    »Ja, dort habe ich gestern übernachtet. Sie ist wunderschön.«
    »Sie gehört uns, der Stadt. Wir haben sie für die Pilger erbaut und sie bezahlt. Sie gehört uns. Aber schauen Sie …«, sagt er und holt dabei ein imaginäres Seil ein, »langsam, aber sicher wird sich die Kirche ihrer bemächtigen. Die können es sich leisten zu warten. Am Ende bekommen sie immer, was sie wollen.«
    »Dann waren Sie wohl nicht in der Messe?«, frage ich vorsichtig.
    »Pah!«, ruft er aus. »Da geh ich nie hin!«
    »Na dann, gute Nacht«, sage ich und sehe ihm hinterher, wie er aus dem Lokal in die Dunkelheit der Calle de la Alameda entschwindet.

Burgos
    Santo Domingo de la Calzada – Hospital de San Nicolás

    Dienstag, 22. Juni 2010
    Villambistia - Villafría - Burgos | 43 Kilometer
    Freitag, 25. Juni 2010
    Arroyo de San Bol - Hospital de San Nicolás bei der Puente de Itero | 25,3 Kilometer

Dienstag, 22. Juni 2010
    Ich wandere 35 Kilometer von Villambistia nach Villafría, wo ich den Bus der Linie 8 nehme und die restlichen 8 Kilometer bis Burgos fahre
    »Ich freue mich, dass Du wieder obenauf bist. Wieder unterwegs. Wahre Pilgerschaft bedeutet zu Fuß gehen und viel café con leche trinken! Unsere Nationalmannschaften sind offenbar nicht in Hochform. Argentinien wird das Rennen machen! Wie geht’s? Ultreya! Hans.«
    Hans hat schon recht, aber seit Santo Domingo habe ich zu viel Kaffee getrunken und bin zu wenig zu Fuß gegangen – irgendwie einfach steckengeblieben. Erst um 14 Uhr erreiche ich Atapuerca, und dabei bin ich für heute Abend in Burgos mit Alison und Ian zum Essen verabredet. Wenn sie nicht bis Mitternacht an ihrem Tisch auf mich warten, schaffe ich das wohl nie. Seit Villambistia bin ich zwar schon dreiundzwanzig Kilometer gelaufen, aber bis Burgos sind es noch immer zwanzig Kilometer.
    Als wir uns vergangenen

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