Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
Vom Netzwerk:
Freitag verabredeten, hatte ich die Entfernung bis Burgos gar nicht im Kopf. Den Samstag habe ich in Santo Domingo verbummelt, am Sonntag bin ich nur zwölf Kilometer bis Castildelgado gewandert. Gestern wollte ich nach nur sechzehn Kilometern in Villambistia ursprünglich Mittagspause machen, bin aber erst heute Morgen von dort weitergezogen. Inmaculada, die hospitalera im Albergue San Roque, hatte mir erzählt, dass dort in diesem Jahr kaum Pilger übernachtet hätten.
    »Warum denn nicht?«, fragte ich, noch mit dem Plan, selbst auch nach dem Mittagessen aufzubrechen.
    »Weil nicht viele Pilger unterwegs sind«, erklärte sie.
    »Inmaculada, es sind genauso viele Pilger unterwegs wie bei meinem letzten Camino.«
    »Ja wo sind sie denn dann?«, fragte sie und deutete durch die Glastür auf den leeren Dorfplatz. »Es liegt an der Wirtschaftskrise. Die Leute können sich die Reise nicht mehr leisten. Und sie glauben die ganzen Gerüchte im Internet.«
    »Welche Gerüchte?«
    »Dass der Camino im heiligen Jahr so überlaufen ist, dass sie auf der Straße schlafen müssen.«
    »Auf der Straße schlafen? Das ist nicht wahr! Es gibt inzwischen so viele Herbergen.«
    »Ja! Und diese hier ist vollkommen leer!«, bestätigte sie.
    »Wirklich? Darf ich mal sehen?«
    Inmaculada führte mich nach oben in den sauberen Schlafsaal, die blitzenden Sanitärräume und auf die Dachterrasse. Jeder Winkel der Herberge war so makellos wie der Name der hospitalera es versprach. In der Bruthitze, die gestern herrschte, war die Albergue San Roque unwiderstehlich wie ein riad in Marrakesch.
    »Na, ich bleibe gern. Es ist wunderbar hier!«, sagte ich.
    Inmaculada behandelte mich wie einen Ehrengast. Ich war privilegierte einzige Nutznießerin ihrer perfekten Gastfreundschaft. Am Nachmittag brachte sie mir Wasser auf die sonnenüberflutete Dachterrasse, am Abend Kanincheneintopf an meinen Esstisch und nach dem Essen Kaffee.
    »Inma, haben Sie den Camino auch schon gemacht?«
    »Nein«, sagte sie und setzte sich mit ihrem Getränk zu mir. »Dazu habe ich keine Zeit. Mir gefällt mein Leben hier. Hier übernachten viele Leute, die alles haben, aber wenn sie mich und meine kleine Herberge sehen, werden sie neidisch.«
    Auch ich beneidete Inma, als ich an den langen Tagesmarsch nach Burgos dachte, der mir bevorstand.
    »Bis Burgos sind es ungefähr fünfundvierzig Kilometer. Da muss ich besonders früh aufstehen, oder?«
    »Ja, im Morgengrauen! Außerdem soll es morgen bis vierzig Grad heiß werden.«
    »Glaub bloß nicht, dass du fünfundvierzig Kilometer an einem Tag schaffst!« So die hilfreiche SMS, die kurz vor Mitternacht von Helen kam.
    Morgens um 6 Uhr 40 brach ich dann von Inmas Herberge auf, entschlossen zu beweisen, dass Helen sich irrte. Aber sie irrt sich niemals. Dass meine Entschlossenheit nachließ, merkte ich, als ich um 11 Uhr 40 in der Kirche von San Juan de Ortega das Grab des Ortsheiligen berührte. San Juan (der heilige Johannes), ein Schüler des großen Pilgerfreundes SantoDomingo, hielt offenbar nicht viel von meinem selbstsüchtigen Gebet um Wiederherstellung meiner Kräfte – ich fühlte mich danach deutlich schwächer als vor meiner Bitte um Hilfe.
    Rosafarbene Rosen, roter Mohn und Gruppen von Eichen wachsen zu beiden Seiten meines steilen, steinigen Weges. Obwohl ich mich an den Hängen der Sierra de Atapuerca in der Provinz Burgos befinde, fühle ich mich zu Hause, wie immer in Kalksteinlandschaften. Doch die Hügel von Atapuerca beschwören eine viel weiter zurückliegende Vergangenheit herauf als meine Teenagerausflüge in die Umgebung von Yorkshire. Ein Höhlensystem unter diesen Hügeln legt Zeugnis davon ab, dass die ersten Hominiden Westeuropas genau hier lebten. An einem als Knochengrube bezeichneten Ort liegen zweiunddreißig versteinerte Skelette von Homo heidelbergensis . Es könnte sich sogar um frühe Exemplare von Homo neanderthalensis handeln. Erstaunlicherweise stammen fast alle der vierhunderttausend Jahre alten Überbleibsel von Jugendlichen, die möglicherweise einer Epidemie zum Opfer gefallen sind. An der Gran Dolina, einer alten Eisenbahntrasse, die in der Nähe der Grube verläuft, wurden weitere versteinerte Knochen gefunden, die sogar achthunderttausend Jahre alt sind. Gegenwärtig streiten sich Wissenschaftler über ihre Identität – es könnte sich um die ersten Vertreter des Homo heidelbergensis handeln, die aus Asien nach Westeuropa kamen, oder, noch aufregender, um eine

Weitere Kostenlose Bücher