Ich bin da noch mal hin
Stühle, als würden gleich Gäste eintreffen, strecke mein versteinertes Bein auf den grün gepolsterten Sitzen aus und trinke das kühle Wasser. Selten bin ich so glücklich gewesen.
Die Straße nach Villafría kommt mir länger vor als die vier oder fünf Kilometer, die es tatsächlich sind. Eine Pilgerin mit einem kleinen Hund schließt sich mir an.
»Geh bloß nicht zu Fuß von Villafría nach Burgos«, rät sie mir. »Reine Zeitverschwendung. Es ist schrecklich, nur Autos und Geschäfte, so weit das Auge reicht. Wozu sich das antun?«
Natürlich, um sagen zu können, dass ich jeden Zentimeter des Camino aus eigener Kraft bewältigt habe.
»Ich weiß. Mein Bein tut sowieso so weh, dass ich kaum noch laufen kann. Es gibt also einen Bus?«
»Oh ja, keine Sorge. ¡Buen Camino!«
»¡Buen Camino!«
Meine Enttäuschung ist bereits durch Realismus gedämpft, als ich die beiden Brücken über die Autobahn A 1 und die Eisenbahnlinie Madrid-Irún überquere. Von der Haltestelle vor der Bar in Villafría fährt gerade ein roter Bus ab, doch der Kellner versichert mir, dass in einer halben Stunde der nächste geht. Die drei brasilianischen Vertreter der Spezies Homo sapiens , denen ich in Atapuerca begegnet bin, klettern in das Taxi, das sie nach Burgos bringen soll.
»Möchtest du mitfahren?«, fragen sie.
»Ach nein«, entgegne ich und setze meinen Rucksack ab. »Ich muss erst mal was trinken. Trotzdem danke.«
Ich muss tatsächlich etwas trinken, vielleicht nicht nur ein Glas, aber das ist nicht der wahre Grund, warum ich ihr Angebot ablehne.
Mich geschlagen zu geben und den Bus zu nehmen, ist schlimm genug, aber wenigstens benutze ich ein öffentliches Verkehrsmittel. Ich will in Santiago doch nicht eingestehen müssen, dass ich ein Taxi genommen habe!
»Entschuldigt meine Verspätung!«, rufe ich schon von Weitem Alison und Ian zu, die bereits ihren zweiten Gang beenden. »Eure Beschreibung war perfekt, aber ich konnte einfach nicht schneller gehen.«
Damit meine ich nicht, dass ich seit Atapuerca langsam gegangen bin, sondern von meinem Hotel im Zentrum von Burgos aus. Das Hostal Acacia liegt nur einen Katzensprung von dieser kleinen Terrasse des Restaurante El Corralón entfernt. Aber ich konnte nicht springen wie eine Katze, sondern mich zwischen den Abendspaziergängern auf dem Paseo del Espolón nur humpelnd, hinkend und schlurfend fortbewegen.
Zum dritten Mal seit unserer ersten Begegnung in Saint-Jean-Pied-de-Port stellen wir fest, dass sich unsere Wege morgen wieder trennen werden. Meine beiden Freunde werden nach Hornillos del Camino wandern, während ich meine steifen Sehnen entspannen und in den eleganten Straßen dieser Stadt einen Ruhetag verbringen werde.
»Ich wusste gar nicht, dass Weizen so viele Farben haben kann, ihr vielleicht?«, erkundige ich mich, ohne im Geringsten daran zu zweifeln, dass Alison und Ian das im Überfluss vorhandene Getreide genauso interessant finden wie ich. »Seit Santo Domingo habe ich ungefähr sieben verschiedene Grünschattierungen gezählt.«
»Das ist nicht alles Weizen, weißt du«, bemerkt Ian.
»Was denn dann?«
»Manchmal Gerste, oder Hafer, auch Roggen«, erklärt er und beschreibt mir dann die Unterschiede.
»Das wusste ich nicht! Und ich will Biologin sein!« Dann lieber ein Themenwechsel: »Äh, glaubt ihr wirklich an Heilige?«, frage ich in Erinnerung daran, dass San Juan de Ortega mir heute nicht geholfen hat.
»Ja.«
»Und wo, Alison, glaubst du, dass die sind?«
»Im Himmel.«
»Und was meinst du, wo der Himmel ist?«
»Na ja«, entgegnet Ian. »Wir wissen, dass es mathematisch gesehen elf Dimensionen gibt, warum sollte also der Himmel nicht eine davon sein?«
»Na schön, aber selbst wenn er existiert, was machen die Heiligen dort?«
»Sie legen bei Gott Fürsprache für uns ein«, erwidert Alison.
»Aber warum hört Gott uns nicht direkt zu?«
»Die Heiligen überreden Gott, uns zuzuhören.«
»Warum haben sie mehr Einfluss auf ihn als wir?«
»Weil Heilige im Gegensatz zu Gott selbst Menschen gewesen sind«, wirft Ian ein. »Gott hört ihnen zu, weil er weiß, dass sie sich auf eine Weise in Menschen einfühlen können, die ihm nicht zu Gebote steht.«
»Du meinst, Gott hört uns ganz besonders gut zu, wenn ein Heiliger sich einschaltet?«, frage ich. »Das ist doch nichts als Günstlingswirtschaft. Was ist mit all den Menschen auf derWelt, die noch nie von Heiligen gehört haben? Wie soll Gott denen je zuhören?«
»Darum
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