Ich bin da noch mal hin
Dank!«
Ich springe aus dem Bett und rolle das Luxusteil auf den Dielenbrettern zwischen unseren Kojen auseinander. Beide sehen wir in stillem Respekt für die Wunder der Technik zu, wie sie sich ganz von allein prall mit Luft füllt, und ich lege mich ein paar Minuten darauf, um zu testen, was für ein Gefühl das ist.
»Tolles Ding!«, sage ich, während ich wieder in mein Bett krabble. »Bequemer als dieses Bett! Danke, Hans! Das ist wirklich nett von dir.«
»Gern geschehen. Ich freue mich wirklich, dass du dafür Verwendung hast. Gute Nacht, Anne.«
»Gute Nacht, Hans.«
Als ich am nächsten Morgen erwachte, war Hans verschwunden. Sein Bett war leer, und er hatte mir nicht einmal einen Abschiedsgruß hinterlassen. Ich war zutiefst enttäuscht – in dem großzügigen deutschen Pilger meinte ich, endlich eine verwandte Seele gefunden zu haben, und war sicher gewesen, dass wir ab Santo Domingo zusammen weiterwandern würden. Doch wenn auch er beim »Rasen mit Blasen« mitmachte, würde ich ihm wohl nicht wieder begegnen. Unsere gemeinsame Pause in Cirueña hatte mich zu der Annahme verleitet, er sei ein Trödler wie ich. Offenbar hatte ich mich getäuscht – Hans-Peter war sehr viel ehrgeiziger, als man meinen mochte.
Heute gibt es in Cirueña natürlich keinen Hans. Aber ich erkenne eine andere Stimme, als ich im gleichen Café wie damals auf den Tresen zusteuere.
»Anne! Hallo!«
Ich drehe mich um und blicke in Ians bärtiges Gesicht. Er strahlt mich an und bemerkt gleich den Rucksack auf meinem Rücken. Jetzt werde ich ihm einiges erklären müssen.
»Ian! Hi! Isst du hier zu Mittag?«
»Ja. Alison sitzt draußen. Und du?«
»Ich will sehen, wie es im Spiel Deutschland gegen Serbien weitergeht. Schau nur!« Ich deute auf den Bildschirm hinter dem Tresen. »Es steht eins zu null für Serbien!«
»Na dann viel Spaß. Wenn wir fertig sind, hole ich dich ab. Okay?«
»Wunderbar. Grüß Alison!«
»Wo hast du denn dein Fahrrad gelassen, Anne?«
»In Logroño. Erzähle ich dir gleich. Geht bloß nicht ohne mich!«
Es steht immer noch eins zu null für Serbien, als wir uns zusammen auf die verbleibenden sechs Kilometer nach Santo Domingo begeben. Wir gehen auf rötlichem Boden zwischenendlos wogenden Feldern mit grünem Weizen und roten Mohnblumen dahin. Alison und Ian erzählen mir von ihren Berufen und ihren erwachsenen Kindern in England, und ich erzähle ihnen von meinem Fahrraddebakel. Ab und zu streckt Ian den Arm horizontal aus und drückt, ohne auch nur den Schritt zu verlangsamen ,auf den Auslöser seiner Kamera.
»Fotografierst du immer so?«, frage ich ihn.
»Ja. Macht keinen Unterschied, werden trotzdem gut.«
Wahrscheinlich hat Ian recht. Was soll die sorgfältige Wahl des Bildausschnitts bei einem Weizenfeld für einen Unterschied machen?
Wir schlafen in benachbarten Betten in der hübschen, modernen Herberge von Santo Domingo, der Casa del Santo. Im Zisterzienserinnenkloster war kein Platz mehr, als wir um fünf Uhr eintrafen. Ich frage mich, wessen Köpfe wohl heute Nacht auf den Kissen der Betten sechs und sieben liegen werden. Für einen Moment habe ich Hans’ leeres Bett vor neun Jahren vor Augen und erinnere mich an den Augenblick in León zwei Wochen später, als ich endlich erfuhr, warum er aufgebrochen war – jedenfalls nicht, weil er sich am »Rasen mit Blasen« beteiligt hätte.
Aber das ist, wie man so sagt, eine andere Geschichte …
Samstag, 19. Juni 2010
Santo Domingo de la Calzada
Das glückliche Leben
Die Dinge, Freund, die (wie mir scheint)
Des Lebens Glück bestimmen, sind:
Besitz ererbt, und mühlos dein,
Fruchtbarer Grund, friedvoller Sinn;
Der rechte Freund, kein Groll, kein Streit,
Nicht Herrscherpflicht noch lästiges Amt;
Von Krankheit frei ein tüchtiger Leib,
Und Häuslichkeit nach festem Gang;
Frugale Kost, kein Schlemmertisch;
Die Nächte heiter, sorgenfrei,
Wo Wein den Geist nicht überhitzt;
Weisheit mit Schlichtheit im Verein;
Ein treues Weib, das niemals schilt,
Ein Schlaf, der sanft die Nacht umspannt,
Ein Stand, den du nicht bessern willst –
Nicht Todeswunsch noch Todesangst.
Henry Howard, Earl of Surrey (1517 –1547) nach Martial (40 –102).
Obwohl ich weder ererbten noch erarbeiteten Besitz mein eigen nennen kann, kommt mein gutes Leben auf der Landstraße Martials Formel so nahe, dass ich mich frage, ob der Römer seine Verse auf dem Weg nach Santiago verfasst hat. Unkomplizierte Freundschaften, einfaches, jedoch
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