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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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ist es so wichtig, das Evangelium zu verbreiten und Menschen zu bekehren«, informiert mich Alison.
    In unserer von Lampen erhellten klösterlichen Abgeschiedenheit im El Corralón an der Calle Corral de los Infantes fühle ich mich versucht, an das von Alison und Ian geschilderte himmlische Szenario zu glauben.
    »Was ist mit all den angeblichen Erscheinungen der Jungfrau Maria? Glaubt ihr an die auch?«
    »Selbstverständlich«, sagt Alison.
    »Aber Alison, das ist doch ganz abwegig. Der Priester in Navarrete hat mir erklärt, Maria sei in Saragossa dem heiligen Jakob erschienen! Aber du glaubst doch nicht im Ernst, dass Bernadette Soubirous in Lourdes die Heilige Jungfrau gesehen hat?«
    »Doch, natürlich.«
    »Also, ich bin einmal in Lourdes gewesen und habe meine verletzte Schulter unter den Hahn mit dem heiligen Wasser gehalten. Wisst ihr, was passiert ist? Überhaupt nichts! Am Ende musste ich mich operieren lassen. Bernadette hatte garantiert Halluzinationen.«
    »Wie könnte sich ein vierzehnjähriges Mädchen, das weder lesen noch schreiben kann, den Satz ausdenken ›Ich bin die Unbefleckte Empfängnis‹? Sie muss ihn von der Jungfrau Maria gehört haben!«
    »Sie kann den Satz auch in der Messe aufgeschnappt haben.«
    »Aber sie hatte nie eine Messe besucht.«
    Die Jungfrau Maria erschien jemandem, der nie eine Messe besucht hatte? Das finde ich noch unglaubwürdiger als die Sache mit den Heiligen im Himmel, die Gott am Ärmel zupfen, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen.
    Wir setzen unser freundschaftliches Streitgespräch fort, während wir an der von Flutlicht erhellten Fassade der Kathedrale entlanggehen, einer der schönsten von ganz Spanien. Zankend und lachend schlendern wir durch die dunklen Straßen zu unseren Hotels. Keiner wird den anderen überzeugen können, aber wir bleiben Freunde. Zwischen Pilgern auf dem Caminonach Santiago de Compostela mag es Meinungsverschiedenheiten geben, doch wir wissen, dass wir uns den Respekt voreinander bewahren müssen. Und ich habe größten Respekt vor diesen beiden Pilgern, die von England aus jeden Festlandsmeter zu Fuß gegangen sind. Nicht einmal die acht Kilometer von Villafría nach Burgos haben sie mit dem roten Bus der Linie 8 zurückgelegt.

Freitag, 25. Juni 2010
    Ich wandere 25,3 Kilometer von Arroyo de San Bol zum Hospital de San Nicolás bei der Puente de Itero
    »Zeit zum Aufstehen, es ist 6 Uhr 5. Zeit zum Aufstehen, es ist 6 Uhr 5«, keift die Frauenstimme um 6 Uhr 5 unsanft aus meinem Telefon.
    Ich muss mir unbedingt einen freundlicheren Weckton einstellen – Vogelgezwitscher vielleicht? Juncal, die ich am Abend zuvor noch kennengelernt habe und die mir erzählt hat, dass es einmal ihr Beruf war, früh aufzustehen und die schlafmützige Bevölkerung von San Sebastian mit Post zu versorgen, ist schon fort, die Fleecedecke liegt ordentlich gefaltet auf ihrem leeren Bett am Fenster. Kein Wunder, Juncal hat Übung. Ich wäre niemals in der Lage, um fünf Uhr morgens aufzubrechen wie sie, selbst wenn ich für den Rest meines Lebens jedes Jahr den Camino gehen würde. Ich gönne mir den Luxus, mich noch ein bisschen in meinem Schlafsack zu räkeln, bevor ich aufstehe und dem Tag ins Gesicht blicke.
    Vor neun Jahren allerdings habe ich die Herberge von Hornillos del Camino, eine Station vor dieser, schon vor Morgengrauen verlassen. Lori und Madison hatten mich überzeugt, das sei notwendig, wenn wir die dreißig Kilometer nach San Nicolás rechtzeitig hinter uns bringen wollten, um dort ein Bett zu ergattern. Auch Brad hatte in den sauren Apfel beißen müssen, denn als Loris Sohn musste er ihren Anweisungen Folge leisten. Sie hatten mir versichert, San Nicolás sei einer der Höhepunkte des Camino. Angeblich wuschen dort die hospitaleros den Pilgern die Füße, um Jesu’ Geste der Demut vor demletzten Abendmahl nachzueifern. Also hatte ich mich gegen alle Widerstände meiner inneren Uhr um 4 Uhr 30 aus meiner oberen Koje gequält, um hinter ihnen, am Brunnen mit der Hahnenfigur am kleinen Dorfplatz von Hornillos vorbei, durch die Felder in Richtung Hontanas zu ziehen. Es war kalt gewesen – das hatte ich bisher nicht erlebt, denn mein Tag begann gewöhnlich gegen 11 Uhr nach mehreren Tassen Kaffee. Das war überhaupt das Schlimmste: loszugehen, ohne mir einen café con leche oder ein Croissant einverleibt zu haben. Außerdem sah ich in der Dunkelheit nichts. Manchmal kamen wir total vom Weg ab, stapften direkt durch die Felder ungefähr in

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