Ich bin da noch mal hin
Richtung Hontanas, stolperten und hatten Stroh im Mund, wenn wir hinfielen. Drei Stunden später, um 7 Uhr 30, erreichten wir Hontanas. Arroyo de San Bol, wo ich mich jetzt befinde, hatten wir links liegen gelassen.
Heutenehme ich mir Zeit. Das »Rasen mit Blasen« ist nie mein Ding gewesen, und klar, als ich die Küche betrete, ist es schon hell. Unsere hospitalera Victoria hat Brot, Butter und Marmelade auf den Tresen gestellt, dieses Jahr werde ich also auf dem Weg nach Hontanas nicht verhungern. Paco der Ältere und Paco der Jüngere sind draußen und drängen Chungo und Kira, vor ihrem Aufbruch ein bisschen Wasser zu trinken. Der Vater und der Sohn aus Valencia winken mir zum Abschied zu, während ich an der Tür stehend mein Marmeladebrot verzehre und den beiden Hunden zusehe, die freudig mit dem Schwanz wedeln. Es ist 6 Uhr 40, als ich als Letzte losziehe, nachdem ich die Tür zugesperrt und den Schlüssel in die Tasche gesteckt habe.
Ich nehme den gleichen Weg nach Hontanas wie vor neun Jahren, aber diesmal sehe ich etwas ! Weißes Leimkraut und blauer Rittersporn säumen den Weg, auf dem mein Schatten vor mir auf elf Uhr fällt. Die Sonne über meiner rechten Schulter steht ebenfalls auf elf Uhr und färbt die Gerstenfelder golden. Meinen Schatten zu beobachten ist in Ermangelung anderer Zerstreuungen überraschend unterhaltsam. Als die Sonne in meinem Rücken steht, liegt der Schatten auf zwölf Uhr. Und er zeigt 13 Uhr, als sich die Sonne hinter meiner linken Schulter befindet. Ich habe das Gefühl, eine Sonnenuhr erfunden zu haben. Da die Sonne hinter mir im Osten aufgeht, so meineBerechnungen, muss ich wohl westwärts wandern, und da dies der Camino ist, tue ich das auch! Ich höre auf, meine Intelligenz zu bewundern, um eine Feldlerche (oder ist es ein Schwarzkehlchen?) zu beobachten, die auf einer Steinmauer inmitten der Gerste lauthals trällert. Eine leichte Brise trägt den Vogelgesang zu mir her. Plötzlich peitscht ein heftiger Windstoß den Staub vom trockenen Boden in die Höhe, legt sich aber sofort wieder. Ich bleibe stehen und denke an den Jungen, der in Paulo Coelhos »Der Alchimist« vom Wind geküsst wird. Jetzt kommt mir das nicht mehr so weit hergeholt vor.
Doch wo ist Hontanas? Sollte ich jetzt, um 7 Uhr 50, nicht langsam dort ankommen? Hätte ich heute Morgen in meinem Lozano gelesen, so wüsste ich, dass Domenico Laffi 1673 geschrieben hatte: »Wir kommen in das Städtchen, das sich Hontanas (›Fontana‹) nennt, das im Grund eines Tälchens versteckt ist und kaum zu sehen ist …« Perfekt beschrieben! Plötzlich fällt mein Weg zwischen den hohen, von rotem Mohn überwucherten Steinmauern ab, und vor mir tauchen der gewölbte Kirchturm und das pittoreske Dorf Hontanas auf. Die Kirchturmuhr schlägt acht, als der Pfad in eine schmale Straße übergeht, an der drei Herbergen, ein Hotel, zwei Bars, ein kleiner Supermarkt, eine Postfiliale und eine Arztpraxis liegen. Was ist bloß aus dem Camino geworden? Meine Gefährten aus dem Jahr 2001 würden den Ort nicht wiedererkennen. Ich weiß noch, dass es in Hontanas eine einzige Herberge und eine Bar gab, die meinem »Gelben Buch« zufolge von »einem tatkräftigen Besitzer, Victorino, der reichlich preiswertes Essen serviert«, geführt wurde. Wir waren dankbar dort eingefallen, denn nach unserem frühmorgendlichen Marsch hatten wir reichliches und preiswertes Essen bitter nötig.
Zufälligerweise war es auch damals am 23. Juni 2001 um 8 Uhr gewesen, als wir Victorinos dunkle Bar betraten. Würste in Schlingen hingen ordentlich von einem Regalbrett, auf dem akkurat aufgereihte Spirituosen standen. Ein kleiner, stämmiger Mann in blau kariertem Hemd wartete hinter dem gefliesten Tresen auf Kundschaft. Wir lümmelten uns auf eine Bank, lehnten uns an die weiß getünchte Wand und sahen zu, wie Victorino café con leche für uns zubereitete. Über unseren Köpfen hingen ein Kronleuchter, ein Sonnenhut, calabazas , Ketten und alte Fotos des jungen Victorino von alten Holzbalken. Der Zauber ließ ein wenig nach, als Victorino die Teller ausgingen und er eines unserer Spiegeleier direkt auf dem klebrigen Tresen servierte. Wer es aß, weiß ich nicht mehr, ich jedenfalls nicht. Dann kam er hinter der Bar hervor, um uns sein Bravourstückchen zu zeigen: Er schüttete sich Rotwein über das Gesicht, um ihn anschließend in den Mund zu saugen. Wir gingen, ohne uns auch nur den sello geben zu lassen. Damals hatte ich keine Ahnung, dass
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