Ich bin da noch mal hin
Buch von Hape Kerkeling. Ist das die englische Ausgabe?«
»Ja. ›I’m off then‹.«
»Auf Deutsch heißt es ›Ich bin dann mal weg‹.«
»Ich weiß. Ich komme darin vor.«
»Du kommst darin vor?«
»Ja. Schau, hier.«
Ich blättere durch die Seiten bis zu dem Foto, auf dem eine Pilgerin in einem Barcelona-T-Shirt zu sehen ist. Christian nimmt das Buch zur Hand und betrachtet eingehend das Foto.
» Du bist Anne?«
Es kränkt mich etwas, dass er mich auf einem Foto, auf dem ich etwas jünger aussehe, nicht gleich erkennt.
»Irgendwie dachte ich gleich, ich habe dich schon mal gesehen. In Deutschland kennen dich alle durch dieses Buch.«
»Das denken die Leute vielleicht, dass sie mich kennen. Sie kennen aber höchstens meinen Namen«, entgegne ich, bereue diese etwas hochnäsige Antwort aber sogleich. Eigentlich glaube ich auch nicht, dass ich so berühmt bin, wie Christian behauptet. Trotzdem verbreitet sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer unter den Pilgern.
»Was ist los?«, unterbricht uns Miranda, eine junge Australierin. »Bist du etwa berühmt oder was?«
»Nein, bin ich nicht! Ich habe einen berühmten deutschen Komiker kennengelernt, als ich das letzte Mal den Camino machte. Er hat dieses Buch hier geschrieben, in dem ich öfter erwähnt werde. Die Deutschen, die es gelesen haben, wissen also, wer ich bin.«
»Das heißt, ziemlich viele Deutsche«, erläutert Christian Miranda.
»He, alle mal herhören!«, ruft Miranda begeistert. »Anne ist berühmt! Seht her! Sie kommt in diesem Buch hier vor! Wie heißt der Typ, der es geschrieben hat?«
Christian reicht Miranda die englische Fassung von »Ich bin dann mal weg«, und ich zeige ihr die Fotos, auf denen ich mal allein, mal mit Hans und Shelagh zu sehen bin. Sie bittet mich um mein Autogramm, das ich ihr mit einiger Mühe auf eine Serviette kritzele. Dann umarmt sie mich, Jodie tut es ihr gleich. Auf einmal werde ich von lauter Pilgern geherzt und gedrückt, die noch vor fünf Minuten nie von mir gehört hatten!
»Du solltest auch ein Buch schreiben«, rät mir Christian. »In Deutschland würde das sicher viele interessieren.«
»Tatsächlich?«
»Mich ganz bestimmt. Und ich würde es auch meinen Freunden ans Herz legen. Und die würden es ihren Freunden weiterempfehlen.«
»Wir würden es auch alle lesen!«, ruft Miranda.
»Na klar!«, verspricht Collins, wahrscheinlich, um bei Miranda Eindruck zu schinden. Er macht ihr den Hof, seit sie sich am Vortag an der Wasserpumpe getroffen haben.
»Bist du immer noch mit Hape befreundet?«, fragt Christian.
»Ja. Wir treffen uns ab und zu und telefonieren öfter miteinander.«
Ich überlege, ob ich Hans eine SMS schicken und ihn um Rat fragen soll, wie ich am besten mit meiner »Berühmtheit« umgehe. Nein, besser nicht. Er wäre bestimmt eifersüchtig.
Ich nehme meinen Kaffee mit nach draußen in die Sonne, wo die älteren, erfahreneren Pilger bereits – ungerührt von meinem erborgten Ruhm – ihre Rucksäcke packen. Ein Pilger, der von Castrojeriz kommt, bedauert sicherlich, dass er kurz »Hallo« gesagt hat, denn sofort drücken wir ihm alle unsere Kameras in die Hand. Er muss acht Gruppenfotos machen, die uns lächelnd vor der Herberge zeigen, im Hintergrund die elf Bögen der von Alfonso VI. erbauten Puente de Itero über den Rio Pisuerga. Erst dann kann er in die Provinz Palencia entschwinden.
Hilary, Jodie und ich folgen ihm bald und wandern über den Kiesweg bis ins knapp zwanzig Kilometer entfernte Itero de la Vega. Lisa wartet in dem kleinen Ort auf einer Bank auf Jodie, um den gemeinsamen Camino fortzusetzen. Lisa hat die Nacht in der hiesigen Herberge verbracht, weil sie nicht in San Nicolás bleiben wollte, wirkt aber nicht zufrieden mit ihrer Entscheidung. Wir erzählen ihr lieber gar nicht, was sie versäumt hat …
»Lisa hat nicht sehr glücklich ausgesehen, was?«, bemerkt Hilary, als wir weitergehen und die beiden Amerikanerinnen ihren Meinungsverschiedenheiten überlassen.
»Nein. Ich denke, die beiden kannten sich nicht gut genug, bevor sie zu dieser gemeinsamen Reise aufbrachen. Vielleicht müssen sie sich bald trennen.«
Dieses »bald« kommt eher, als ich denke.
Hilary, die wie ich aus England stammt, ist Religionslehrerin. Sie hat gestern Abend resolut das laute Abendessen mit einer Geschichte vom heiligen Nikolaus unterbrochen. Froh, Aufnahme in der zu seinen Ehren errichteten Herberge gefunden zu haben, verzichteten wir respektvoll eine Weile auf Wein und
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