Ich bin da noch mal hin
Bühne und machte meiner Qual ein Ende. Auch er schwenkte ein deutsches Fähnchen.
»Weißt du was, Anne?«, hatte Hans zu mir gesagt, als wir am frühen Morgen mit dem Auto zurück nach Düsseldorf fuhren.
»Was denn?«
»Während der Show hat mich die Sendeleiterin über meinen Ohrhörer angerufen. Sie hat gesagt: ›Deine Freundin, die kleine Engländerin in dem grünen T-Shirt, ist die Einzige, die nicht lacht.‹«
»Tut mir leid. Aber was ist so lustig an ›Es gibt nur einen Rudi Völler‹? Hans, ihr habt gegen Saudi-Arabien gewonnen, nicht gegen Brasilien!«
Ich stürze meinen starken cortado in einem Schluck hinunter und schreite unter der Sonne von Ledigo wieder aus. Drei Kilometer weiter ertönt auf der Straße von Terradillos der nervtötende Lärm einer Kindertrompete, ungleich lauter als das Krähen eines Hahns, der sich nicht sehen lässt. Die Einwohnerzahl der Handvoll Häuser aus Lehm und Ziegel ist so klein, dass mein »Gelbes Buch « sie gar nicht benennt. Ich kann keine Menschenseele entdecken, doch hinter der unpassend wuchtigen Kirche höre ich Stimmen. Pilger sitzen an einem Tisch im Herbergsgarten und trinken Bier aus kleinen Dosen, um sich für die sechsundzwanzig Kilometer von Carrión de los Condes zu belohnen. Unter ihnen ist auch Lisa. Sie erzählt mir, dass sie in der Nacht zuvor in der Herberge von spanischen Müttern belästigt wurde, die ihr ihre Söhne zur Heirat antrugen.
»Aber«, so erklärt sie mir, »ich kaufe nie die Katze im Sack.«
Ich mache mir Sorgen um Lisa. Sie hat diese Frauen ja wohl nicht ernst genommen? Oder ist die spanische Wirtschaftskrise während der paar Tage, die ich auf dem Camino unterwegs bin, nun völlig außer Kontrolle geraten? Spanische Junggesellen, seid auf der Hut! Lisa hat gestern mit uns zu Abend gegessen, musste sich aber von Lynn Geld für ihre Paella leihen.
»So was kommt vor«, hatte Lynn gesagt und ihr großzügig das Geld gegeben.
Stimmt. Diese unverheirateten Männer sollten vorsichtig sein mit den amerikanischen Bräuten, die ihre Mütter aussuchen. Und nicht die Katze im Sack kaufen.
»Nach Sahagún«, gebe ich selbstbewusst Auskunft, als Lisa mich fragt, wie weit ich heute noch gehe.
Doch bis Sahagún ist es mir dann doch zu weit. Die nächsten sechs Kilometer erschöpfen mich vollkommen. Der Pilgerpfad entfernt sich von der Straße und führt unter den Starkstromleitungen, die sich nach Sahagún ziehen, durch Weizen- und Luzernenfelder. Die kleine Steigung, die zu einer Kiefernschonung führt, ermüdet mich derart, dass ich mich dafür verfluche, nicht um vier Uhr in Terradillos geblieben zu sein. Nie wieder nehme ich mir mehr als neun Stunden oder sechsundzwanzig Kilometer vor. Die schönen Schafgarben und die rosa Wicken zu meinen Füßen interessieren mich nicht. Ich will einfach nur Halt machen. Und das mache ich auch, als ich in einer Senke hinter einer Brache mit roter Erde eine Gruppe von Hausdächern und einen Kirchturm erspähe. Seit wann ist die Landschaft nicht mehr bretteben? Ich vermag es nicht zu sagen. Das Dorf liegt genau vor mir, doch der Pfad macht erst einen gemeinen Schlenker, um dann an Ginster und einem Meer von Gänseblümchen vorbei nach San Nicolás del Real Camino hineinzuführen. Die Energie, die mich in Carrión und Calzadilla weitertrieb, hat der páramo geschluckt, und so verbringe ich eine weitere Nacht in der Provinz Palencia.
Im Waschbecken im Garten meiner idyllischen heutigen Unterkunft, der Albergue Laganares, knete ich den Dreck aus T-Shirt und Hose. Purpurfarbene Petunien hängen in Körben von der weißen Wand, darunter am Rand der Wiese wachsengelbe Stiefmütterchen. Ich nehme mein Glas Wein mit zu einem Tisch auf dem Rasen und checke vor dem Abendessen noch rasch meine SMS.
»Ich zitiere: Deutschland im Freudentaumel wie seit dem Mauerfall 1989 nicht mehr. Jane«
»Tja. Alle deutschen Kommentatoren glauben, das Tor der Engländer hätte vom Schiedsrichter akzeptiert werden müssen! Kein Deutscher streitet das ab! Der Ball war drin! Also … was soll’s, lass die Wut und die Frustration los, atme ruhig ein und wieder aus … aber wir haben GEWONNEN!!! ;--) luv Hans«
Sind sie immer noch nicht fertig mit diesem Spiel? War das nicht gestern?
León
San Nicolás del Real Camino – Ruitelán
Dienstag, 29. Juni 2010
San Nicolás del Real Camino - Sahagún | 7,5 Kilometer
Donnerstag, 1. Juli 2010
Calzadilla de los Hermanillos - Mansilla de las Mulas | 22 Kilometer
Freitag, 2.
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