Ich bin da noch mal hin
das Ziehen leichter fällt«, antwortet sie auf Italienisch.
»Ist das nicht unangenehm? Der Boden ist ja nicht immer so eben«, fahre ich auf Spanisch fort.
»Nein, kein Problem. Später, wenn es mir besser geht, kann ich ihn tragen«, versichert sie mir.
Ich suche nach einer Möglichkeit, ihr höflich zu verstehen zu geben, dass sie nicht die einzige exzentrische Pilgerin auf dem Camino ist, und plaudere ein wenig davon aus, was Christian am Freitag beim Abendessen erzählt hat.
»Ich habe auch schon von anderen interessanten Pilgern gehört. Offenbar gibt es eine Frau, die eine Harfe mit sich schleppt. Allerdings bloß eine kleine. Und eine hat einen ausgestopften Affen dabei!«
Weil mir das Wort für »Affe« nicht einfällt, mime ich einen Schimpansen, der sich mit den Händen unter den Achseln kratzt und »Oooh! Oooh! Oooh!« brüllt.
»Ach so!«, sagt meine freundliche Gefährtin, die weiter ihren Trolley hinter sich her zieht.
»¿Un mono?«
»¡Si! So heißt das, gracias. Un mono.«
»Ein Spielzeug?«
»Nein, er ist echt. Nur ist er jetzt tot. Und dann gibt es die Frau, die einen Kinderwagen mit einem acht Monate alten Säugling schiebt.«
»¿Es un Camino raro, eh?« (Seltsam, der Camino, was?), lautet Catalinas Urteil über unseren gemeinsamen Weg.
Kann man wohl sagen!
Ich bleibe hinter Catalina zurück, als ich ein Bohnenfeld am Wegrand fotografiere. Gleich darauf sieht ein Hänfling auf einem Akazienast mich das rötlich-weiße Lehmsteindorf Ledigos betreten, das in einer verschlafenen Mulde im palencianischen páramo liegt. Im großen Speisesaal der Herberge geht es allerdings keineswegs verschlafen zu, und ich muss gegen den Lärm durstiger Pilger anbrüllen, um mir am Tresen Gehör zu verschaffen. Ich setze mich möglichst weit abseits von der Mengeund schlage die auf dem Tisch liegende Zeitung auf. Die unverhohlene Schadenfreude des spanischen Berichterstatters über Englands Niederlage gegen Deutschland finde ich unfair. Seien wir doch ehrlich – die Deutschen hausen auf Mallorca genauso schlimm wie die Engländer. Und Arenal ist sogar noch übler als Magaluf!
Ich schwenke die Eiswürfel in meinem Sprudelwasserglas und schalte mein Handy ein. Nicht nur ich erhole mich langsam von der nationalen Katastrophe, sondern auch meine Landsleute.
»Aufregende Neuigkeiten! Ein Igel im Garten! Helen«
»Schrecklich! Bin froh, dass sie verloren haben, jetzt muss ich ihnen nicht mehr zuschauen. Mama«
»Jetzt kann ich mich endlich auf Wimbledon konzentrieren. Jane«
»Liege in der Sonne! Elizabeth«
»Drücke jetzt Brasilien die Daumen. Kath«
Unser Leben ist so reich an Enttäuschungen, da lassen wir uns von einem weiteren schmachvollen WM-Ausgang nicht unterkriegen. Ich weiß noch, wie England in der WM 2002 zwar in Hochform war, aber im Viertelfinale trotzdem von Brasilien geschlagen wurde. Es stand eins zu eins, als unser Torwart David Seaman zusehen musste, wie ein Freistoß von Ronaldinho wie ein Ballon über seinem Kopf ins Netz schwebte. Ich überlegte damals, ob nicht Seamans schwerer Pferdeschwanz seine Sprungfähigkeit eingeschränkt hatte. Nur drei Wochen vor dieser haarigen Geschichte war ich gerade in Düsseldorf bei Hans gewesen, als Deutschland im Eröffnungsspiel Saudi-Arabien acht zu null besiegte.
»Das war bloß Saudi-Arabien, Hans«, hatte ich betont. »Das heißt nicht, dass ihr gleich die WM gewinnt, weißt du.«
»Werden wir aber, Anne«, hatte er mit jenem Übermaß an Selbstbewusstsein geantwortet, das man empfindet, wenn das eigene Land schon drei Weltmeisterschaften gewonnen hat.
Für mich jedenfalls hatte sich der damalige Tag weiter schlecht entwickelt, um schließlich in einem unvergesslichen Finale zu enden. Hans hatte mich eingeladen, mir seine Achtziger-Show in Köln live anzuschauen. Nachdem ich die erstaunlichen Mätzchen verfolgt hatte, die Hans und Eddie the Eagle beim Skifahren auf der Bühne vollführten, wurden an alle Zuschauer im Saal deutsche Fähnchen verteilt. Ich hatte nichts dagegen, eins in der Hand zu halten, aber als das gesamte Publikum zu schunkeln begann, wurde es mir zu viel. Dann mussten wir, inspiriert durch den großartigen Acht-zu-null-Sieg über den Fußballgiganten Saudi-Arabien, alle im Chor einen Lobgesang auf den deutschen Teamchef anstimmen: »Es gibt nur einen Rudi Völler! Einen Rudi Völler! Es gibt nur einen Rudi Völler!« Erst dachte ich, es würde nie aufhören, aber schließlich betrat Hans Dietrich Genscher die
Weitere Kostenlose Bücher