Ich bin da noch mal hin
ich Engländerin bin.«
»Macht nichts … wir bleiben trotzdem Freunde! In der nächsten Runde haut vielleicht Argentinien Deutschland raus … :--(«
»Keine Chance. Ihr werdet sie zermalmen. Glaub mir, ich weiß das.«
Gestern Abend habe ich mir die Höhepunkte des Spiels Argentinien gegen Mexiko angesehen und alle Tore, die Argentinien zum Drei-zu-eins-Sieg führten, als abseits befunden. Mindestens zwei jedenfalls. Na ja, eines ganz bestimmt. Kommenden Samstag wird das dünne Mäntelchen von Raffinesse nicht mehr überdecken können, dass es Argentinien gründlich an Selbstvertrauen mangelt. Deutschland wird Argentinien zermalmen. Glaub mir, ich weiß das.
»Wo bist du jetzt?«, fragt Hans.
»Ich trinke Kaffee inmitten eines Weizenfelds auf dem Weg nach Sahagún.«
»Ultreya Pilgerin! Viel Spaß, ich gehe neben dir!«
Hans’ Gesellschaft in Form seiner schadenfrohen SMS ist tatsächlich meine einzige Gesellschaft heute. Lynn, Steve, Cathy und Hilary haben morgens den Bus nach León genommen, um vier der flachsten, weizenreichsten Etappen des Camino zu überspringen. Hilarys Jahresetappe ist zu Ende und meine Freunde von der Südhalbkugel müssen spätestens am 14. Juli in Santiago sein, um nach Neuseeland zurückzufliegen. Oder war es Australien? Es ist nicht fair … die gestrige Niederlage war schlimm genug, aber nun auch meine Freunde zu verlieren, ist ein doppelter Schlag.
Es war kein Scherz, als ich Hans schrieb, ich würde inmitten eines Weizenfelds Kaffee trinken. Seit sieben Uhr morgens bin ich den Pfad durch die Monokultur entlanggewandert. Aber diese Provinz ist nicht bloß die Weizenkammer Spaniens. Erstens ist die Gegend nicht vollkommen flach. Wims Höhenprofil zeigt, dass es später am Tag vor Ledigos etwa fünfzig Meter aufwärts gehen wird und dann ein klein wenig abwärts nach San Nicolás del Real Camino. Auf dem Hügelchen angekommen, freue ich mich über jedes belebte oder unbelebte Objekt, das kein Weizen ist ! Einzelne Pappelreihen ragen hie und da ausdem Boden wie erfrischende Springbrunnen, und massenweise rote und schwarze Käfer, die sich an dem wilden Fenchel gütlich tun, peppen die verunkrautete Hecke auf. Vor fünf Minuten habe ich das Grün eines Fleckens Mais zwischen dem goldenen Getreide bewundert und dabei eine Tafel inmitten der Wildblumen entdeckt. Weiße Plastikmöbel und ein Wohncontainer standen auf einem Karree neben dem Weg, wo eigentlich auch Weizen hätte wachsen müssen. Auf der Tafel war in Kreidebuchstaben zu lesen: »BAR Café Té Refrescos Bocadillos« (BAR Kaffee Tee Softdrinks Belegte Brötchen). Es war keine Fata Morgana, sondern wirklich ein Café! Endlich ein echtes Wunder auf dem Camino! Vor neun Jahren gab es für die Pilger, denen empfohlen wurde, auf diese heiße Etappe von Carrión de los Condes nach Calzadilla de la Cueza genügend Essen und Wasser mitzunehmen, keinen solchen Ort, der zur Pause einlud. Aber Ana und Rafael aus Sahagún haben eine Lichtung in den Weizen gefräst, was allein schon eine Erleichterung bedeutet, um ihr Café Oasis genau an der Stelle zu eröffnen, an der unsere Kräfte nachlassen.
Ich genieße meinen Kaffee und Kuchen unter dem grünen Sonnenschirm und höre dabei »If I Ruled the World« von Coldplay im Radio, als eine Wolke über die vollkommene Oase zieht. Eine Wolke, die ich im Geist selbst erschaffen habe. Es ist neun Uhr morgens und dieses Café liegt neun Kilometer von Carrión entfernt. Bei meinem Blasen erzeugenden Tempo von viereinhalb Kilometern pro Stunde werde ich für die verbleibenden acht Kilometer nach Calzadilla de la Cueza knapp zwei Stunden brauchen. 2001 traf ich allein und spätabends in der dortigen Herberge ein, einem niedrigen weißen Schlafbungalow am Ortsrand. Als ich meinen Schlafsack auf einer der unteren Kojen am Ende des Raums ausrollte, hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ein alter Mann stand so dicht hinter mir, als wollte er mit mir Flamenco tanzen. Doch er hatte anderes im Sinn. Bevor ich reagieren konnte, hatte er mich schon auf das Bett gestoßen und lag halb über mir. Ich weiß noch, wie ich mit den Handballen heftig gegen seine Schultern stieß und meinen Kopf von seinen Lippen wegdrehte, die sich auf mein Gesicht drückten, während er brabbelte: »¡Solo un beso!« (Nur einenKuss!) Ich schaffte es, mich ans Fußende der Koje zu schlängeln, auf die Füße zu kommen und zu brüllen: »Raus hier! Raus! Ich werde die Polizei rufen!« Er trippelte davon, wahrscheinlich zurück
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