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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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in sein Haus an der einzigen Straße des Ortes, und brummte dabei vor sich hin. Sein Gesicht war so finster, als wären ihm seine ehelichen Rechte verweigert worden. Vielleicht war dies ja auch der Fall und ich hatte das Pech gehabt, Opfer seiner Frustration zu werden.
    In der Befürchtung, er könnte zurückkommen, verzichtete ich auf eine Dusche und suchte stattdessen eilends das Restaurant nebenan auf. Kaum hatte ich Platz genommen, als ein Geschäftsmann sich neben mich setzte, der mir riet, was ich bestellen und dass Rotwein immer eine Trinktemperatur von vierzehn Grad haben sollte. Als ich nach dem Abendessen gehen wollte, versuchte er mich aufzuhalten, indem er lallte: »Sie sind so eine schöne Frau.« Wie ich da stand, ungewaschen in meinem schmuddeligen Barcelona-T-Shirt und mit schweißverklebten rötlichen Stoppelhaaren, konnte ich nur annehmen, dass die ganze Flasche Rioja, die er siebenundzwanzig Grad warm getrunken hatte, seine Sicht getrübt hatte. »Danke. Gute Nacht!«, erwiderte ich und begab mich wieder in die zweifelhafte Sicherheit des Schlafraums. Der Aufenthalt in Calzadilla de la Cueza war damals alles andere als vergnüglich gewesen.
    Als ich jedoch an diesem Vormittag um 11 Uhr 15 Calzadilla erreiche, scheint es dort weit vergnüglicher zuzugehen. Mehr als zwanzig Pilger sitzen an den roten Tischen vor dem Restaurant des Hostal Camino Real, unterhalten sich lautstark, lachen und verzehren ein frühes Mittagessen. Ich nehme meine Tasse Tee mit hinaus und setze mich an einen freien Tisch an der Tür. Die Schlagzeile in El Norte de Castilla lautet: »Un baile de escándalo« (Ein skandalöser Tanz). Gemeint ist die Posse um das englische Tor, das der Schiedsrichter übersehen hat. Ein riesiges Foto von Neuer, der auf den Ball blickt, als er über die Linie geht, beweist, dass er es gesehen hat. Dass er dem Schiedsrichter nicht nachgerannt ist, um auf Anerkennung des Tors zu bestehen, werde ich ihm nie verzeihen. Neuer steht jetzt neben Franz Beckenbauer auf der Liste derer, denen ich niemals verzeihen werde.
    Ich komme nicht dazu, den ganzen Artikel zu lesen, denn als ich aufblicke, um an meinem Tee zu nippen, sehe ich ihn – meinen damaligen Peiniger. Ich weiß, dass er es ist, denn sein Haarschnitt und Hemdmuster haben sich in neun Jahren nicht verändert. Vielleicht trägt er sogar das gleiche Hemd wie damals. Ich aber nicht. Wenn ihn die glänzenden Barcelona-Streifen damals so angemacht haben, dann kann mir heute in meinem französischen karierten Baumwollhemd nichts passieren. Er nimmt mich gar nicht wahr, wie ich mich mit verschränkten Armen und über die Brille gezogenem Käppi an die Ziegelwand des hostal lehne, denn er führt mit einem Radfahrer ein Gespräch von Mann zu Mann. Der Radler lacht lauthals über irgendeine witzige Bemerkung des Alten. Ich frage mich, was er wohl außer »¡Solo un beso!« noch im Repertoire hat.
    Die Straße zwischen dem Restaurant und den Weizenfeldern schlängelt sich hinter dem hostal vorbei, um dort meiner alten Freundin, der N 120, zu begegnen. Glücklicherweise werden die Pilger über die Straße auf einen Pfad gewiesen, der hinter einer in den steinharten Boden des páramo gehämmerten Metallschranke beginnt. Den Roman »Pedro Páramo« habe ich vor fünfundzwanzig Jahren in Nicaragua gelesen, und seitdem bin ich nie wieder auf das Wort gestoßen. Aber Bustillo del Páramo, ein Dorf irgendwo mitten im Weizen nahe dem Café Oasis, steht auf dem sello , den Ana vorhin in mein credencial gestempelt hat. Allein schon der Klang des Worts páramo verrät seine Bedeutung, eine öde Landschaft. Ein Baum in der Mitte des sello deutet darauf hin, dass die sechs Kilometer bis Ledigos vielleicht ein bisschen belaubter sein werden als die Strecke heute Morgen. Pappelgruppen hinter den sanft abfallenden Weizenfeldern und große Flächen mit süß duftendem gelbem Ginster lassen meine Hoffnung wahr werden. Und sieh an! Da drüben! Jenseits der Straße, das ist doch Gerste, kein Weizen!
    Ich marschiere so schnell, dass ich ein paar Leute entdecke, die vor mir von Calzadilla aufgebrochen sind. Wenige Meter vor mir zieht eine Frau in knallrosa T-Shirt und grauem Sonnenhut ein Rollköfferchen hinter sich her. Ich hole sie ein, denn ich will wissen, was es mit dem unzweckmäßigen Fluggepäck auf sich hat.
    »Hallo! Hast du diesen Koffer dabei, damit du in Santiago direkt zum Flieger gehen kannst?«, frage ich.
    »Nein. Ich habe solche Schulterschmerzen, dass mir

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