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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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letzte Offenbarung. Nichts geschah. Es regnete und meine Knie wurden schmutzig, aber kein göttlicher Geist berührte an jenem düsteren Sonntag in Briar Wood meine Seele. (Ich hatte den Sonntag als geeigneten Tag gewählt, da der Samstag natürlich wegen meines sportlichen Engagements nicht in Frage kam.) Darum also bin ich keine Mormonin.
    Mein Interesse am Christentum erlahmte, nachdem zwei koreanische Missionarinnen versuchten, mir die Existenz Gottes zu »beweisen«. Sie führten mich und andere neugierige Studenten in einen Raum in der Church Street, wo wir auf das persönliche Erscheinen Gottes warteten. Dazu kam es nicht, und stattdessen malte eine der Gläubigen einen Kreis (die Erde) auf eine Flipchart und deutete auf den Raum drum herum.
    »Das ist der Himmel«, sagte sie. »Und Gott ist hier.«
    Darum also bin ich nicht in der Moon-Sekte.
    Die Nonne, die mit uns gebetet hat, schließt die Tür hinter sich.
    »Entschuldigen Sie!«, platze ich heraus.
    »¿Si?«, fragt sie und dreht sich mit jetzt noch verzückterem Lächeln zu mir um.
    »Entschuldigen Sie die Störung. Ich möchte sie gern etwas fragen.«
    Ich spüre, wie ich erröte, und hoffe, dass sie nicht zu enttäuscht ist, wenn ich sie nicht bitte, mir zu sagen, wie man in ihren Orden eintritt.
    »Von Störung kann keine Rede sein. Wir treffen uns da drinnen.«
    Ich betrete einen Raum mit bleigefassten Fenstern, der bis auf zwei Stühle leer ist. Wie in einer französischen Komödie kommt sie durch eine andere Tür herein und lädt mich mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen. Dann setzt sie sich gegenüber und blickt mich heiter an, den Kopf leicht geneigt. Ich wünschte, ich hätte mir vorher überlegt, was ich eigentlich sagen will, denn jetzt ist mein Kopf leer und meine Zunge wie gelähmt.
    »Señora«, sage ich und wünsche mir sofort, ich hätte »Señorita« oder »Hermana« gesagt. »Was ist Ihrer Ansicht nach der Sinn des Camino?«
    Direkter geht es nicht. Sie lehnt sich ein klein wenig zurück und faltet die Hände im Schoß. Ich bin schrecklich verlegen, weil meine Shorts so respektlos wirken, doch die freundliche Nonne scheint mir den Aufzug nicht übel zu nehmen.
    »Zuzuhören«, meint sie. »Sie müssen der Natur zuhören. Sie müssen auch sich selbst zuhören. Wenn Ihnen etwas klar wird,müssen Sie es aufschreiben. Und am Ende jeden Tages Ihre Aufzeichnungen lesen.«
    »Das tue ich!«, erwidere ich. »Ich schreibe alles auf, was ich sehe und was mir in den Kopf kommt. Alle überholen mich, und ich komme jeden Tag als Letzte in die Herberge.«
    »¡No importa! (Das macht nichts!) Wenn Sie nach Hause kommen und das Leben wieder auf Sie einströmt, dann lesen Sie alles, was Sie aufgeschrieben haben, und erinnern sich an die Lektionen, die Sie gelernt haben.«
    »Ja, ja, danke, das werde ich tun«, verspreche ich. »Darf ich fragen, warum Sie nicht ein einziges Mal Gott erwähnt haben?«
    »Weil ich nicht weiß, ob Sie gläubig sind.«
    »Bin ich nicht.«
    »Aber Sie sind ein spiritueller Mensch, das merkt man«, äußert sie mit Vorsicht. »Wie so viele Menschen habe auch ich früher gezweifelt«, fährt sie fort. »Aber jetzt nicht mehr, denn ich spüre, dass Gott bei mir, in mir ist.«
    »Ich hingegen habe, obwohl ich die ganze Zeit achtgebe, nicht ein einziges Mal Gottes Anwesenheit gespürt. Mein Eindruck ist, dass es nichts gibt als das Leben und die Welt um mich herum. Und das reicht auch.«
    Diesen Gedanken lässt die Benediktinernonne aus dem Kloster Santa Cruz nicht einfach so stehen.
    »Wir sind alle auf einer Pilgerreise«, verkündet sie, »von dem Augenblick an, in dem unsere Mutter uns gebiert, bis zum Moment unseres Todes. Die meisten Menschen sind zu beschäftigt, um das wahrzunehmen. Wenn wir sterben, werden wir Gott treffen.«
    Ich hoffe, Manuel Neuer ist darauf vorbereitet, schießt es mir in den Sinn.
    »Ist Gott menschlich?«, will ich noch wissen.
    »Nein. Aber er ist auch kein Gedanke und kein Wort. Gott ist Liebe. Er ist Licht. Ich kenne Gott als Menschen in Jesus, der ständig bei mir ist und mir zur Seite steht.«
    »Wie wir die Dinge sehen, ist nicht unabhängig davon, was wir wissen und was wir glauben«, schrieb John Berger in »Das Leben der Bilder oder die Kunst des Sehens«. Ist es also der christliche Glaube dieser Nonne, der sie ihre erhabenen Erfahrungen als Anwesenheit Gottes interpretieren lässt? Ich würde behaupten, dass es sich bei der Liebe, die sie eindeutig besitzt, um ihr eigenes hoch

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