Ich bin dann mal offline
es war. Wenn sie dich lieben, ist alles gut. Aber wehe sie fangen an, dich zu hassen.« Und der zweite Punkt? »Ich gehe nie wieder ohne mein Handy auf Reisen.«
JDs Ex-Freundin ist sicherlich ein extremes Beispiel dafür, wie die automatische Erwartung, allzeit erreichbar zu sein, über kurz oder lang auch zu einer Manie werden kann. Oder zumindest zu einer ungerechtfertigten Ern;artung, der andere sei geradezu moralisch dazu verpflichtet, sich zu melden. Wer ein Handy hat, von dem wird einfach erwartet, es immer dabei zu haben. Wer eine Mailbox hat, soll sie bitteschön auch regelmäßig abhören. Wer über eine E-MailAdresse verfügt, soll Nachrichten an diese bitte innerhalb von 24 Stunden beantworten. Wer ein Blackberry hat, gefälligst noch schneller. Oft kommt es nicht nur drauf an, über welche Kommunikationsmittel wir verfügen, sondern auch, wer davon weiß. Wer an einem Samstag einen Brief verschickt, konnte bis vor einiger Zeit keine schriftliche Antwort vor Dienstagmittag reklamieren. Bei einer E-Mail hat der Empfänger im Laufe des Montags zu reagieren. Und wenn der Absender weiß, dass er es mit jemandem mit mobilem Mailzugriff zu tun hat (wie eben dem Blackberry, einem iPhone oder einem anderen Smartphone), dann wird er noch im Lauf des Wochenendes eine Antwort erwarten. Und wenn es sich bei diesem Absender um einen cholerischen Chef handelt, der auf Rückmeldung eines Untergebenen wartet, ist davon auszugehen, dass er diese auch bekommen wird.
Andererseits: Je länger ich über das Thema nachdenke, desto unsicherer werde ich, ob es wirklich immer nur die Erwartungen von außen sind, die uns so unter Druck setzen. Ob der Chef wirklich in jedem Fall, in dem er am Wochenende eine E-Mail schickt, von einer sofortigen Antwort ausgeht?
Vielleicht sitzt er auch nur gerade gelangweilt in einem Flughafenbus und will die Zeit nutzen, indem er schon mal seine Mails bearbeitet -ohne im Traum daran zu denken, vor Montag eine Antwort zu erhalten? Vielleicht weiß er, dass er zwar so unverschämt gut bezahlt wird, dass man von ihm auch noch am Wochenende Verfügbarkeit erwarten kann, von seinen Untergebenen mit einem Bruchteil des Gehalts jedoch nicht? Vielleicht wendet er auch einfach nur den Trick meines Freundes David an, der bisweilen berufliche Mails zu ganz normalen Arbeitszeiten schreibt, aber dann frühmorgens oder spätnachts verschickt, um bei Vorgesetzten oder Klienten den Eindruck des bienenfleißigen Dauerschaffers zu erwecken?
Sicherlich gibt es auch Chefs, die gefangen sind in ihrem Zwang, alles kontrollieren und mikro-managen zu wollen. Aber ich habe die Vermutung, dass wir die Peitsche des bösen Sklaventreibers weit häufiger selbst in der Hand halten, um uns damit zu geißeln.
Tag 3 Von hier nach Strich und Faden
Auch wenn ich durch meinen selbstgewählten internetfreien Monat nicht mehr so gut erreichbar bin
-demFinanzamt ist das egal. Es sitzt mir trotzdem im Nacken und verlangt nach der Steuererklärung vom letzten Jahr. Dafür muss ich unter anderem herausfinden, wie viele Autokilometer zwischen Berlin und Düsseldorf liegen. Könnte man auch ungefähr aus dem Kopf wissen, klar. Könnte man aber auch einfach im Internet nachsehen -der Routenplaner weiß das auf den Kilometer genau. Da das aber tabu ist, schreite ich meine Bücherregale ab und entdecke nach einer Weile die Rettung: meinen alten Diercke-Weltatlas aus Schulzeiten. Ich blättere durch Karten mit Titeln wie »Mittlere jährliche Vereisung in der Ostsee« oder »Bodennutzung am Kilimandscharo«. Ob so ein Atlas heute wohl noch im Unterricht benutzt wird? 'Oder bringen die Lehrer ihren Schülern heute als erstes bei, wie man Google Earth benutzt? Mir kommt ein alter Trick in den Sinn, den mir mein Vater beigebracht hat, als ich mit Zwölf meine erste Radtour planen wollte: Mit einem Faden lege ich die krumme Fahrstrecke auf der Karte möglichst präzise nach, anschließend lese ich an dem Maßstab unten auf der Seite mithilfe der Fadenlänge die Entfernung ab. Nicht ganz so präzise wie mit dem OnlineRoutenplaner -aber wann hat eine Steuererklärung eigentlich das letzte Mal so viel Spaß gemacht?
Tag 4 Schreib mal wieder
Eigentlich hätte ich die Post als Sponsor für meinen Selbstversuch gewinnen sollen. Denn die profitiert schließlich davon, dass ich so viele Briefe und Postkarten verschicke wie schon seit mindestens zehn Jahren nicht mehr. Ob beruflich (ich schreibe Themenvorschläge an Redaktionen, mit denen ich
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