Ich bin dann mal offline
fühlt man sich aber auch erst mal eigenartig orientierungs-und hilflos. Würde man einen Tag mit Ohrstöpseln durch die Stadt laufen ~ wovon ich aus Sicherheitsgründen abrate -wäre man ziemlich aufgeschmissen. Man sieht beispielsweise herannahende Autos oft erst viel später, als man sie hört. Wer hören kann, wie die V-Bahn einfährt, wird etwas schneller gehen, um sie zu erwischen. Fahrradklingeln, Kirchturmglocke, Hupe -mit Ohrstöpseln bleiben viele Fragen offen: Hat da jemand etwas zu mir gesagt? Warum gucken mich alle so an? Warum kommt die V-Bahn nicht, gab es etwa eine Durchsage?
Eines Sinnes beraubt
Wer sich aus dem ihm vertraut gewordenen Internet ausklinkt, fühlt sich eines Sinnes beraubt. Es fehlt etwas. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, etwas zu verpassen, die Welt nicht mehr in ihrer Ganzheit zu begreifen.
Es ist gar nicht so einfach, einzelne Dinge zu benennen, die mir besonders fehlen. Einzeln für sich genommen könnte ich sowohl auf die Weltnachrichten auf den einschlägigen News-Seiten verzichten als auch auf die Neuigkeiten aus meinem Freundeskreis, die mir über Facebook zukommen. Klar, Twitter habe ich bisher als nicht so wichtig eingestuft auch ohne die Blogs käme ich aus, zumindest eine Zeitlang. Und SMS-Tippen ist ja eh so eine mühsame Angelegenheit. Wenn einem aber all diese Kommunikationskanäle auf einmal zugedreht werden, so wie mir seit ein paar Tagen, macht sich plötzlich tatsächlich Einsamkeit breit.
Natürlich könnte ich pausenlos jemanden anrufen, ständig jemanden treffen. Aber erstens haben nicht alle Leute tagsüber unbegrenzt Zeit für Kaffeekränzchen und Plaudereien, und zweitens sind Jammeranrufe mit dem Tenor »Mir ist soooo langweilig« beinahe noch unbeliebter als die der freundli-chen Herren, die einem einen neuen Handytarif aufschwatzen wollen. Und außerdem: Wollte ich mich nicht genau dieser Herausforderung stellen und schauen, was passiert, wenn online nichts passiert? Ich genieße die Mittagessensverabredungen mit Freunden, bei denen ich mich wieder sozial eingebunden fühle, angekoppelt an das Leben, das Palaver. Hast du schon gehört? Was sagt man dazu? Ist das nicht sensationell? Danach kehre ich wieder zurück in meine Wohnung, die mir mit ihrer einzelnen Telefonleitung beinahe wie eine Isolationszelle vorkommt. Na gut, eine renovierte AltbauIsolationszelle mit Parkett, Balkon, Kaffeemaschine und anderen Annehmlichkeiten. Trotzdem: Mir fehlt Stimulation von außen, durch Neuigkeiten, Nachrichten, Informationen, die ich vorher noch nicht hatte. Ich schlafe schlecht -und kann mich morgens trotzdem nur schwer motivieren. Sonst war es zumindest zu einem Teil immer die Neugier, die mich aus dem Bett trieb: Was gibt's Neues im Internet? Die Bücher über Hirnforschung und soziale Netzwerke, die sich auf meinem Tisch stapeln, sind zwar interessant, aber sie kommen mir im Vergleich zu den Texten im Netz 6
statisch vor, unflexibel und starr. Wenn ich in einem Buch nicht finde, was ich suche oder mir von seinem Einband versprochen habe, kann ich es natürlich trotzdem weiterlesen, wenn es mir interessant erscheint -aber meine Frage wird es nicht beantworten, wenn es nun mal das falsche Buch ist. Das Internet bietet die große Chance, dass ein Text, der mit dem gewünschten Thema zu tun hat, aber nicht zu 100 Prozent das trifft, was man sucht, auf einen anderen Text verlinkt, der die Frage schließlich beantwortet. Oder man kann eine verfeinerte Suche mit präziseren (oder einfach anderen) Begriffen starten und kommt auf diese Weise dem Ergebnis näher. Man kann Experten befragen oder die große Masse der Laien, die in ihrer Gesamtheit gesehen oft noch schlauer sind als einzelne Spezialisten. Der kluge Mob
James Surowiecki, Autor des Buches »Die Weisheit der Vielen« undWirtschaftskolumnist des Magazins New Yorker, erzählte mir vor einiger Zeit in einem Interview, woher diese Intelligenz der Masse kommt. Warum zum Beispiel der Publikumsjoker bei der Quizsendung »Wer wird Millionär«, bei dem 100 Studiozuschauer -also komplette Laien -befragt werden, zuverlässiger ist als der Anruf joker, bei dem man ja jemanden fragt, der sich angeblich mit einem Thema auskennt. »Meine These mag viele überraschen, aber die Beweise und Studien sind ziemlich überwältigend. Man darf nicht denken, dass jede Person auf der Straße so klug ist wie ein Experte. Die Weisheit der Vielen kommt nur zustande, wenn man viele Leute unabhängig befragt. Jeder weiß nur ein
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