Ich bin dann mal offline
zusammenarbeite) oder privat (Jessica bekommt täglich eine Postkarte) -vieles, was ich sonst per Mail oder SMS klären würde, stopfe ich nun in den gelben Briefkasten an der Straßenecke. Das Kuriose: Selbst die Briefmarken für meine Postsendungen habe ich zuletzt nur noch im Internet besorgt. Dort bietet die Post seit einiger Zeit einen praktischen Service an, mit dem man seine Briefmarken in beliebigem Wert und beliebiger Menge selbst gestalten kann (wahlweise mit Bergpanorama, Tennisschläger oder meinem Favoriten: einem müden Koalabären), um sie anschließend auszudrucken. Verständnisvoll bis neidisch
Stattdessen muss ich mich nun in die ständig überfüllte Postfiliale aufmachen, in der inzwischen nicht mehr nur Päckchen aufgegeben und Briefmarken verkauft werden, sondern auch Handys, Verträge von umweltfreundlichen Stromanbietern und Postsparbücher. Aber warum sollte sich das Postamt auch auf den Briefmarkenverkauf beschränken, wenn immer mehr Menschen so wie ich diese im Internet erstehen -oder sowieso gleich E-Mails schreiben?
Zufällig muss ich für ein Wirtschaftsrnagazin, für das ich hin und wieder arbeite, einen Artikel über die Deutsche Post schreiben -genauer gesagt über die Logistiksparte DHL. Als ich wieder zuhause bin, rufe ich bei der Pressestelle an, um einen Gesprächstermin mit dem Manager zu vereinbaren, der für das Innovationsmanagement des Konzerns verantwortlich ist. Nachdem die wichtigsten Details geklärt sind, kommt das Unvermeidliche: »Geben Sie mir doch mal Ihre Mailadresse, dann melde ich mich, sobald ich den genauen Termin weiß, und schicke Ihnen noch ein paar Unterlagen zur Vorbereitung.« Es fühlt sich an wie ein unangenehmes Geständnis, als ich sage, dass ich per Mail und Handy nicht erreichbar bin. Schließlich betrifft dieser Verzicht ja nicht nur mich, sondern verlangt auch jedem etwas ab, der mit mir kommunizieren möchte -oder in diesem Falle muss. Ich stelle mich auf eine Mischung aus genervtem Unverständnis und einem sarkastischen »Na, Sie denken wohl auch, dass ich meine Zeit gestohlen habe« ein. Doch überraschenderweise ernte ich nicht nur Verständnis, sondern sogar freundliche Neugier und Interesse: »Das finde ich ja spannend. Erzählen Sie doch mall«, fordert mich die Pressesprecherin auf. Das Eis ist schneller gebrochen, als es sonst bei derartigen Berufskontakten der Fall ist.
Die Reaktion ist typisch für die meisten Leute, mit denen ich in meinen internetlosen Wochen beruflich zu tun habe: Niemand findet den Selbstversuch sinnlos oder unverständlich oder beschwert sich, meinetwegen einen Briefumschlag losschicken zu müssen. Alle sind interessiert an meinen Erlebnissen. Die meisten geben sogar offen zu, ein wenig neidisch zu sein: »Ein Monat ohne E-Mails? Das wäre der Himmel auf Erden«, schwärmt eine Kollegin. »Ich habe heute den ganzen Vormittag nichts anderes gemacht, als Mails zu beantworten. Und als ich aus der Mittagspause kam, war schon wieder ein ganzer Berg da.«
Professor Klaus Moser vorn Lehrstuhl für Wirtschafts-und Sozialpsychologie der Universität Nürnberg hat sich eingehend mit unserer Überforderung durch die neuen Informationstechnologien am Arbeitsplatz beschäftigt. Früher, so der Forscher, sei der klassische Büroarbeiter durch räumliche und zeitliche Filter von vielen Informationen abgeschirmt geblieben: Die Post kam morgens und wurde nachmittags wieder abgeholt, Fern-oder Überseegespräche waren teuer und in den meisten Berufen nur selten nötig. In einer Studie von Moser und seinen Kollegen fanden Befragte vor allem die Masse an eingehenden E-Mails belastend. Zu unübersichtlich sei der endlose Strom immer wieder neuer Informationen, der sich gerade nach Abwesenheit durch Urlaub oder Krankheit kaum noch bewältigen ließe. Oft sei die Relevanz der einzelnen Nachricht nicht erkennbar, Ziele würden immer unklarer formuliert, und die Wichtigkeit beziehungsweise Dringlichkeit sei oft nur schlecht einschätzbar. Falls eine schnelle Antwort nötig sei, bliebe keine Zeit zum Abwägen, so ein weiterer häufiger Kritikpunkt. Zu den größten Stressoren gehörte laut der Befragung, mehrfach von unterschiedlichen Stellen dieselbe Information zu bekommen oder auch, dass Informationen häufig voreilig und daher unvollständig übermittelt würden und später permanent wieder geändert werden müssten. Aber es gibt nicht nur besorgte Stimmen, die fürchten, dass das Internet unsere Arbeitswelt stressiger,
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