Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
weiß. In dem kleinen, nicht minder grauen Zentrum von Triacastela sitzt Sheelagh im einzigen, ungemütlichen und geschmacklos möblierten Café beim Tee und starrt suchend umher. Natürlich entgehen wir ihrem aufmerksamen Blick nicht und so stürzt sie freudig auf die Straße.
Es ist ihr tatsächlich gelungen, ein Drei-Bett-Zimmer in einer schönen Pension am Ortsausgang zu organisieren, während Hunderte andere frustriert weiterlaufen mussten. Unsere Nachtschichtpilgerin Sheelagh ist ein Geschenk des Himmels, denn ohne sie würden Anne und ich bei unserem nicht vorhandenen Tempo sicher nicht mal mehr in einer alten Turnhalle unterkommen. Uns fehlt nach wie vor die hektische Verbissenheit der meisten anderen Pilger. Sheelagh jedoch bleibt entspannt und wittert förmlich, wo noch ein Zimmer für uns zu haben ist.
Erkenntnis des Tages:
Auf die entscheidenden Prüfungen im Lebensparcours kommt es an!
14. Juli 2001 – Triacastela
Wir drei hatten bisher unverschämtes Glück, denn ein Drei-Bett-Zimmer haben wir bis jetzt immer gefunden; die wenigsten suchen nämlich eins und auf Sheelaghs unschlagbare Gute-Nacht-Ghoststories könnte ich gar nicht mehr verzichten. Unsere Kiwi-Mama ist die Größte! Sie hat eine samtweiche Erzählstimme und ihr von einem dezenten neuseeländischen Akzent gefärbtes Englisch ist für mein deutsches Ohr klar zu verstehen. Wenn sie vorträgt, traue ich mich kaum, sie wegen einer nicht verstandenen Vokabel zu unterbrechen. Egal was sie sagt, es klingt salbungsvoll und sehr, sehr bedeutsam.
Sheelagh hat Anne und mir verraten, dass sie noch das eine oder andere höhere Ziel in der neuseeländischen Politik anstrebt! Sie ist bereits Mitglied einer nationalen Bewegung, die im ozeanischen Parteienspektrum in etwa mit den deutschen Grünen vergleichbar ist. Neuseeland wird an ihren Lippen kleben, dessen bin ich mir sicher!
Wir sind schon ein komisches Dreigestirn. Die kleine, kernige, bodenständige Dr. Anne mit ihrem frechen Humor und ihren roten Stoppelhaaren und Sheelagh, diese feenhafte, intelligente, noble Dame mit wallenden roten Haaren. Ich Moppel überrage die beiden sicher um einen halben Meter.
Heute in aller Früh sind die mürrische Anne und die übermüdete Sheelagh trotz englischen Regenwetters und dichtem Nebel zum Kloster Samos marschiert. Samos, das schon im fünften Jahrhundert gegründet wurde und damit zu den ältesten Klöstern der ganzen westlichen Welt gehört, ist angeblich ein Pilger-Must abseits des Camino. Da es nicht auf dem offiziellen Pfad liegt, sondern nur über einen komplizierten Umweg zu erreichen ist, will ich mir den abgelegenen Geheimtipp allerdings auf gar keinen Fall antun. Also setze ich eine Runde aus und habe heute Wasch-, Schlaf-, Lese- und Relaxtag. Sheelagh hat mir eines ihrer Bücher überlassen, eine spannende Geschichte über die Kolonisierung Neuseelands. Dafür hab ich ihr meine neue Ersatz-Pilgerregenjacke überlassen.
Ich weiß gar nicht, wie der Abschied von den beiden werden soll. Wir drei fangen an, fürchterlich aneinander zu hängen, und wir können uns so bedingungslos aufeinander verlassen.
Morgen muss ich also die einundzwanzig Kilometer laufen und am Abend treffe ich die beiden dann in Rente, einem kleinen Ort hinter der Kreisstadt Sarria.
Erkenntnis des Tages:
Man muss nicht jeden Umweg machen.
15. Juli 2001 – Sarria und Rente
Der Camino von Triacastela bis nach Rente ist sehr romantisch. Man bewegt sich fast ausschließlich auf der kaum befahrenen Landstraße durch die eichenbewaldeten Hügel. Dudelsackmusik passt wohl am besten zu dieser Landschaft und in der Tat ist Galiciens Nationalinstrument, das leidend quäkende Töne von sich gibt, eine Art Schafseuter-Schalmei!
Überall riecht es hier penetrant süßlich und ranzig nach Kuhdung, was bei mir, wenn der Gestank zu heftig wird, zu akutem Würgereiz, allerdings ohne Auswurf, führt. Unter der Sonne, die heute unerwartet wieder zurückgekehrt ist, schmort der grünbraune Mist anscheinend besonders gut. Zu allem Überfluss verlaufe ich mich auch wieder und nehme den viel längeren Weg. Ich hab halt nicht aufgepasst und vor mich hingeträumt. Als ich es merke, bin ich schon viel zu weit gegangen, um noch an Umkehr zu denken, und so verlängere ich unbeabsichtigt mein Tagespensum um etliche Kilometer. Aber so sehe auch ich doch noch das Juwel Samos jenseits der Pilgerroute. Schön! Vor allem schön anstrengend! Dieses Laufen auf dem Asphalt ist echte
Weitere Kostenlose Bücher