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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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vierzig angesprochen und schließlich eingeholt.
    Die gut aussehende dunkelhaarige Pilgerin mit modernem Westernstyle-Batik-Kopftuch und halblangen Lederhosen hat ihre Wanderung erst gestern begonnen und so ist sie noch besonders wild auf jede neue Bekanntschaft. Als ich feststelle, dass sie keine Brasilianerin ist, bin ich sehr beruhigt. Rita kommt aus Holland und will, da ich mich als Langzeitpilger oute, viel über meine bisherigen Erfahrungen mit dem Camino wissen. Nachdem sie ihr Tempo drastisch verlangsamt hat, um dann einige Kilometer mit mir zu laufen, gebe ich der recht vernünftig wirkenden Frau bereitwillig Auskunft und bin sogar fast schon geneigt, sie am Abend meinen besten Pilgerfreundinnen vorzustellen.
    Plötzlich bleibt Rita jedoch abrupt stehen und erbleicht: »Hörst du das?«, will sie entsetzt von mir wissen.
    Ich spitze die Ohren und höre nichts außer dem Gezwitscher der Vögel – und rieche den Güllegeruch, der so stark ist, dass er zweifelsohne unter Lärmbelästigung fällt.
    »Was soll ich denn hören?«, frage ich Rita etwas ratlos, denn die ist immer noch ganz Ohr und lauscht mit weiten Augen sehr angespannt. Bevor sie mich dann immens verblüfft. »Die Geister! Hörst du sie denn nicht?«
    Warum treffe ich eigentlich immer die Bekloppten? Und warum finden die mich dann auch noch sympathisch und kleben an mir wie stachelige Soldatenknöpfe? Augenblicklich beschließe ich, so abweisend und kaltschulterig wie nur eben möglich zu sein.
    Wie werde ich denn jetzt mitten in dieser Karl-May-Kulisse diese arme Irre aus Utrecht wieder los? Wahrscheinlich nie wieder. Denn die fühlt sich gerade pudelwohl in meiner Gegenwart! Kurz bin ich geneigt, ihr zu sagen: »Ja, ich höre die Geister und sie sagen: Du sollst ganz ganz schnell verschwinden!«
    Rita jedoch lässt es gar nicht zu, dass ich womöglich zum Antworten komme, und beichtet mir flott und ungefragt, was die durchweg miesen Geister ihr angeblich so alles erzählen. Im Vergleich dazu sind Sheelaghs Ghoststories ab sofort für Kleinkinder ab vier Jahren freizugeben. Rita fantasiert wüst von unruhigen Geistern und verwunschenen Seelen, die besonders auf der heutigen Etappe den armen Pilgern zusetzen würden, und dass jemand wie ich sich besonders in Acht nehmen müsse, da ich so kurz vor dem Ziel und deshalb schon besonders rein sei. Somit ein gefundenes Fressen für diese schrottigen Dämonen!
    Nein, dass ich nicht lache! Blöd! Ich bin einfach nur blöd. Mein Instinkt hätte mich warnen müssen. Jetzt wo sie diesen ganzen Müll unzensiert ablässt, sieht sie eindeutig abgedreht aus. Aber wie hätte ich das merken sollen? Sie hat mich doch ganz freundlich von hinten angequatscht.
    Das hat meine Oma mir, nebenbei gesagt, beigebracht, als ich acht war: »Wer einen von hinten anspricht oder mit verdecktem Visier, der führt nichts Gutes im Schilde!« Ja, das stimmt!
    Die Krone setzt Rita dem Spuk dann auch noch mit der frechen Behauptung auf, meine tote Großmutter lasse mich durch sie herzlichst grüßen und habe das dringende Bedürfnis, mir mitzuteilen, dass sie unglaublich stolz auf mich sei! Falls meine tote Oma mit mir kommunizieren wollte, würde sie wohl kaum diesen abstrusen Weg über Rita wählen, denn erstens wüsste sie, dass ich mich zu Tode erschrecken würde, und zweitens mochte sie solche Leute wie die Irre aus Utrecht schon zu Lebzeiten nicht besonders.
    Rita macht mich nicht wütend, denn dazu ist sie eindeutig zu doof, aber sie fängt doch an, mir auf den Keks zu gehen, also sage ich auf Holländisch: »Luister! Hör mal, den Müll kannst du woanders loswerden, aber bitte nicht bei mir! Adieu!«
    Mit einer derart schroffen Reaktion meinerseits hat sie anscheinend nicht gerechnet, denn wortlos und beleidigt, eigentlich genau wie meine brasilianische Ex-Verlobte Claudia, düst sie weiter.
    Mann, Mann, Mann! Hoffentlich hole ich Anne bald ein! Alle anderen Pilger sind heute wieder echte Schießbudenfiguren. Zu diesem Schluss komme ich umso mehr, nachdem noch eine hutzelige ältere Frau mit Quietschestimme aus Madrid versucht, mit mir in der Einsamkeit ins Gespräch zu kommen. Aber mein Durst nach Kommunikation mit Wildfremden ist vorerst gestillt und so bekommt auch sie grundlos, aber prophylaktisch meine kalte Schulter zu spüren.
    Eine Stunde später geschieht dann etwas Sonderbares. Mitten in einem dichten Wald von hässlichen verkrüppelten Kiefern steht auf einmal Sheelagh! Ich fasse es nicht! Die zielstrebige

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