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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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Knochenarbeit. Das Wetter ist zwar ideal zum Wandern, dennoch! Auch nach diesen vielen Tagen auf den Beinen kann ich das Laufen an sich nicht genießen. Jeden Tag muss ich mich neu überwinden und zu Beginn jeder Wanderung dauert es immer etwa eine Stunde, bis ich meinen Rhythmus gefunden habe.
    Wenn ich danach nicht mehr über das Gehen nachdenke, kann ich’s zwar nicht genießen, aber es ist mir zumindest egal und somit nicht ganz so anstrengend. Jede Pause, in der ich den Rucksack abwerfen darf, ist eine echte Wohltat. Etwa ab Sarria muss man den Camino ohne Unterbrechung oder sporadische Aussetzer bis nach Santiago laufen, wenn man als echter Pilger anerkannt werden will. In welcher Zeit man die Strecke hinter sich bringt, spielt dabei erfreulicherweise keine Rolle, aber natürlich sollte man täglich ein paar Meilen abarbeiten. Freudig nehme ich diese letzte Herausforderung an und frage mich die ganze Wanderung über, was mich eigentlich so glücklich macht?
    Nichts macht mich glücklich! Denn ich denke nichts, mich besorgt nichts und eigentlich treibt mich auch nichts besonders an.
    Als ich das müffelnde romantische Kuhdorf Rente am Nachmittag erreiche, sitzen Anne und Sheelagh mit baumelnden Füßen auf einer groben Steinmauer vor einem liebevoll renovierten Bauernhof und haben dort bereits ein schönes Drei-Bett-Zimmer reserviert.
    Beim schmackhaften Abendessen, das die dicke gesunde Bäuerin uns und ihrem alten Schäferhund in der rustikalen Küche serviert, beschließen wir, ab morgen jeden Tag eine Stunde Deutsch zu sprechen, denn sowohl die Neuseeländerin als auch die Engländerin sprechen meine Sprache bereits ein wenig und auf dieser Basis erteile ich ab morgen Nachhilfe.
    Erkenntnis des Tages:
    Es ist die Leere, die vollends glücklich macht.

16. Juli 2001 – Portomarín
     
    Beim Frühstück findet in der Küche des Bauernhauses gleich die erste Deutschstunde statt, selbst die Bäuerin merkt sich ziemlich flott entscheidende Worte wie Ei, Brot, Milch und Schinken. Aber der alte Schäferhund kann Deutsch offensichtlich nicht ausstehen, denn als ich versuche, ihm auf Wunsch der Bäuerin einige Kommandos aus seiner angestammten Heimat beizubringen, weigert er sich lautstark, sie zu befolgen. Anne meint ironisch, dass ich in meiner Muttersprache leider sehr streng rüberkomme und sie sich, ähnlich wie der Hund, nicht sicher sei, ob ihr das wirklich gut gefalle.
    Mein Fazit der ersten Unterrichtsstunde: Die Schüler sind bis auf den Schäferhund durchaus begabt und dürften sich abgesehen von der Landfrau durchaus noch etwas stärker bemühen.
    Nach dem Kurs läuft Sheelagh sofort los, um, wie sie es nennt, »ein sauber Drei-Leute-Zimmer mit Schauer« in Portomarín zu reservieren. Grund genug für Anne und mich – nunmehr erneut unbeaufsichtigt – den heiteren Tag wieder einmal herrlich entspannt bei zahllosen Tassen Milchkaffee anzugehen. Die lautstark Geschirr spülende Bäuerin gibt uns in Gallego irgendwann ziemlich klar zu verstehen, dass sie nicht im Traum daran denke, uns auch noch ein warmes Mittagessen zu kochen.
    Als wir uns dann doch noch – geradezu wie durch ein Wunder – auf den Weg machen, ist die quietschfidele Anne erstaunlich gut zu Fuß. Die Probleme, die ihr lädierter Knöchel ihr noch bis vorgestern gemacht hat, sind nun wie weggeblasen. Mir ist es fast nicht möglich, mit ihr Schritt zu halten, auch weil der Pfad zwar flach, aber sehr holperig ist und ich Angst habe, wieder umzuknicken; also sage ich der britischen Überschallrakete nach einigen Kilometern, dass sie einfach vorlaufen solle und ich sie später einholen würde. Gegen Ende jeder Etappe ist Anne nämlich meistens langsamer als ich und so werde ich automatisch aufholen. Sie muss in ihrem wiedergewonnenen, ureigenen beschwingten Tempo laufen, sonst schafft sie die heutige Etappe kräftemäßig nicht. Mir hingegen ist nach gemütlichem Spazieren zu Mute und so bleibt jeder er selbst.
    Anne spurtet voran und zieht ihr Tempo, das sie mir zuliebe vorher gedrosselt hatte, sogar noch weiter an und ich latsche im langsamen Walzertakt flötend hinterher.
    Es geht durch herrlich flache Gefilde in güllegeschwängerter Luft an Wiesen und Eichenwäldchen vorbei. Und da Anne und ich so spät losgelaufen sind, bin ich auch alleine auf dem Camino. Denke ich jedenfalls. Als ich vorsichtig Schritt für Schritt durch ein unwegsames ausgetrocknetes Flussbett wate, werde ich hinterrücks von einer Frauenstimme um die

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