Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
seiner unverheirateten Tochter anrufen, aber er, der Telekommunikationsfachmann, besitzt kein Handy, also begleite ich ihn zu der Telefonzelle auf dem Parkplatz vor dem Haus. Ich vermute, dass er seiner Tochter erzählen wird, dass ich schmatze und sie sich mich aus dem Kopf schlagen soll.
Die Telefonzelle ist allerdings mittlerweile verschwunden hinter zwanzig parkenden LKWs, die den Platz erobert haben und mit ihren laufenden Motoren nicht nur die Häuser im Tal noch grauer machen, sondern auch ein ohrenbetäubendes Konzert veranstalten. Stefano und ich finden im Gewühl der Wagen die Telefonzelle wieder. An telefonieren ist allerdings nicht zu denken, denn die laufenden Motoren vereiteln jeden Telekommunikationsversuch. Stefano rennt daraufhin von einem LKW-Fahrer zum anderen und bittet um Ruhe. Ich muss sehr lachen, schließlich war der Mann mal Fachmann für Telekommunikation.
Die LKW-Fahrer denken allerdings nicht daran, ihre Motoren abzuschalten, da sie fast ausschließlich Fracht transportieren, die bei der Bullenhitze ohne Kühlung zu vergammeln droht. Stefano hat dann nicht mit meiner Zukünftigen telefoniert und ist stinksauer zu seinem Gitterbett zurückgestiefelt.
Tja, so wird dann auch mein nettes kleines Hotel heute Nacht wohl zum akustischen Albtraum. Werde mir nasses Klopapier in die Ohren stopfen müssen, damit ich die zwanzig Kühlaggregate nicht höre.
Offensichtlich bin ich heute der einzige Pilger, der dieses kleine, gepflegte, wenn auch etwas laute Haus nutzt.
Stefano will morgen mit seinen dreiundsechzig Jahren die sechsunddreißig Kilometer bis nach Burgos durchlaufen, denn am nächsten eigentlichen Etappenziel in San Juan de Ortega gibt es auch wieder keine vernünftige Unterkunft. Ich bin fast geneigt, es ihm gleichzutun. Aber auch diese Strecke ist nicht ohne und bleibt die Hitze, schaffe ich das auf gar keinen Fall.
Als ich in mein Zimmer zurückkomme und meine Kleidung in der Wanne reinige, ist sie bereits nach einer Dreiviertelstunde wieder knochentrocken, so heiß ist die Luft.
Erkenntnis des Tages:
Was macht uns menschlich? Unsere kleinen Macken und die großen Fehler. Hätten wir sie nicht, wären wir alle wandelnde Götter!
24. Juni 2001 – Burgos, Tardajos
Gestern Morgen war es irrsinnig kalt und neblig in Villafranca und ich bin zu kaputt, um auch nur einen Schritt zu tun. Konnte vor lauter Müdigkeit auch den ganzen Tag keinen klaren Gedanken fassen und nichts aufschreiben. Mein Biorhythmus ist absolut im Keller!
Habe sehr schlecht geschlafen; was offensichtlich an den Kühlaggregaten der zwanzig LKWs lag. Hab wild und durcheinander geträumt von Stefano, LKWs und seiner Tochter! Hab geträumt, das Universum expandiert und schrumpft gleichzeitig. Hab’s selber nicht so genau verstanden. In etwa so, als würde sich ein normal großer VW-Käfer in einen Miniatur-LKW verwandeln. Er schrumpft, wird aber dennoch größer. Was für ein absurder Traum.
Bin dann runter in die Brummi-Kneipe, bei Tageslicht betrachtet ein übler Laden, wo alle Fahrer schon bei üppigem fetten Frühstück sitzen, lauthals diskutieren, rauchen, einige trinken schon Rotwein – allzeit gute Fahrt – und man glotzt auf den laufenden, höllisch lauten Farbfernseher. Nur ich weiß in dem Moment, wie klein ihre LKWs draußen wirklich sind, und komme mir dabei ziemlich absurd vor. Ich bestelle mein Frühstück und nehme dies in Ermangelung freier Plätze im Raum einfach draußen zu mir. Eine Tasse Kaffee und einen Keks kann man auch auf dem Bordstein vertilgen. Abgesehen davon sind die knatternden Kühlaggregate leiser als die Fahrer in der Kneipe.
Da steht wie aus dem Nichts dorthin gezaubert ein kurzhaariger blonder Engel vor mir mit strahlend blauen Augen und lächelt mich frech an. Nachdem ich seit fast zwei Wochen Übung darin habe, Pilgern die richtige Nationalität zuzuordnen, sehe ich in der Frau eine Schwedin. Tatsächlich fragt sie mich dann in perfektem Englisch, das von einem süßen schwedischen Akzent durchsetzt ist: »Oh, do they serve breakfast here?«, und stürzt umgehend in die Brummi-Spelunke. Anlass genug für mich, das auch zu tun und einen weiteren Milchkaffee zu ordern. Und da steht sie nun neben mir an der Theke und versucht in dem Getöse etwas hilflos, aber natürlich in perfektem Englisch, ihr Frühstück zu bestellen.
Der dicke verschwitzte, unrasierte Gastwirt scheint eine solche Erscheinung in seinem Leben bisher noch nicht gehabt zu haben und starrt sie
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