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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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beschlossen, dass ich jetzt irgendwie dazu gehöre.
    Besonders ulkig finde ich, dass niemand merkt, dass ich Ausländer bin. Sie halten mich für einen Spanier! Dadurch komme ich mir auch gleich nicht mehr so fremd vor. Wahrscheinlich hören die Herrschaften nicht mehr ganz so gut.
    Je länger ich diesen Weg laufe, desto mehr fühle ich mich hier – wie soll ich sagen – nicht zu Hause, aber wohl und es ist mir nicht mehr fremd.
    Vielleicht komme ich ja nicht nur Santiago, sondern auch mir selbst langsam näher?
    Könnte heute zwar durchaus weiterlaufen, will aber lieber keine Experimente mehr machen und werde meine Beine schonen. Obwohl ich schon sehr froh bin, dass ich bisher nicht eine einzige Blase an den Füßen habe.
    Mein Biorhythmus für die nächsten Tage sieht übrigens nicht besonders gut aus. Hab mir im Motel an so ’ner Maschine einen Auszug machen lassen. Besserung erst in sechs Tagen!
    Erkenntnis des Tages:
    Ich bin in mir zu Hause!

22. Juni 2001 – Belorado, Tosantos und Villafranca
     
    Jetzt hab ich doch tatsächlich schon sechzehn Kilometer geschafft! Bin jetzt in Tosantos, sitze auf der mikroskopischen Plaza und mache meine Siesta, während ich meine dicken roten Füße im Dorfbrunnen bade.
    Heute Morgen um sieben bin ich bereits wieder unterwegs gewesen. Es ist einfach besser, frühmorgens zu laufen. Die Sonne knallt dann noch nicht so sehr und man kommt deutlich flotter voran als am Nachmittag. Heute werde ich noch bis Villafranca laufen, das sind noch weitere sieben Kilometer.
    Der Tag ist bisher keineswegs ereignislos verlaufen: Kurz vor dem Abstieg nach Belorado hatte mich ein sehr sportlicher Madrilene namens Victor überholt. Ein sympathischer Hingucker! Sein Alter ist schwer zu schätzen, ich denke, er ist ein bisschen jünger als ich. Der Mann ist Profipilger, nicht so ein Hobbywallfahrer wie ich, denn er läuft flink mit zwei federleichten Nordic-Walking-Stöcken. Wir laufen eine ganze Zeit gemeinsam und nehmen ein zweites Frühstück in einer Mühle im Wäldchen von Belorado zu uns. Der Typ hat wirklich einen goldigen Humor, jeder zweite Satz endet mit einer unerwarteten Pointe und so verstehen wir uns auf Anhieb prächtig. Er erzählt mir begeistert, dass er sich seinen Kindheitstraum erfüllt, einmal den Jakobsweg zu laufen!
    Während des Essens beschließen wir, gemeinsam weiterzuwandern.
    Und so legen wir, abgelenkt durch unsere angeregte Unterhaltung, in kürzester Zeit vier Kilometer zurück. Schön zu merken, dass mein Spanisch von Tag zu Tag besser wird. Ich verstehe eigentlich alles, was Victor erzählt; Es dauert halt manchmal, bis ich selbst komplizierte Sachverhalte kompakt ausdrücken kann.
    Aber nach geraumer Zeit nimmt unser Gespräch peu à peu eine ziemlich unerwartete Wendung. »Casado?« Ob ich verheiratet bin?, beginnt er mit seinen Nachforschungen; ich lasse das Thema unbeantwortet im Wald stehen.
     
     
    Die Dorfbrunnen – ideal für dicke rote Pilgerfüße  
     
    Seine Fragen werden immer privater und fast ein bisschen forsch. So richtig will er mit der Sprache nicht herausrücken, dazu scheint er doch zu sehr Macho-Madrilene zu sein. Trotzdem habe ich schnell das sichere Gefühl: Der nicht ganz so keusche Pilger Victor sucht ein Abenteuer und das hat einen Doppelnamen. Allerdings verspüre ich im Moment nicht die geringste Lust, während meiner Pilgerreise ruckartig in den Soft-Porno-Bereich abzurutschen. Da Victor nicht nur auf die Flirttube drückt, sondern sich auch im Lauftempo zusehends steigert, sehe ich ein, dass ich auf Dauer unmöglich mit ihm Schritt halten kann, weder in dem einen noch in dem anderen Tempo.
    Er hat durchtrainierte Waden wie ein Ochse und ist einfach viel sportlicher als ich. Wenn ich auch nur zwei Kilometer in diesem irren Tempo weiterdüse, geht es mir durch den Sinn, knicke ich irgendwann auf dem holprigen Weg um und breche mir doch noch was. Also bleibe ich stehen und sage nur: »Victor, perdon. Ich kann nicht mit dir Schritt halten. Das ist nicht mein Tempo!« Ich ahne, dass er erwägt, mir den Vorschlag zu machen, gemächlicher zu gehen, aber durch meinen Blick fühlt er sich dazu nicht ermuntert und so reicht er mir die Hand, verabschiedet sich herzlich und verspricht, in Villafranca auf mich zu warten, um dann mit mir zu Abend zu essen. Dann verschwindet er so schnell, wie er zuvor aufgetaucht war. Und ich weiß, dass in Villafranca garantiert niemand auf mich warten wird, denn einem stolzen Spanier erteilt man

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