Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
keinen Korb.
Nun sitze ich hier immer noch schön auf ’ner Bank und kühle meine Füße in dem Brunnen, der dem Örtchen von Generalíssimo Franco gestiftet wurde. Dem Wasser im Brunnen ist das egal; es ist trotzdem frisch und sauber und keine braune Brühe, wie man bei dem unedlen Spender vermuten sollte. Könnte jetzt gut und gerne eine Stunde schlafen. Aber ich will weiter nach Villafranca.
Also schleppe ich mich ganz langsam durch die Hitze vorwärts.
Bei einem weiteren kurzen Stopp in einem Landgasthof in Espinosa gesellt sich dann Stefano, ein sehr schicker älterer Herr, zu mir, der sogar in seiner exquisiten Designer-Wanderbekleidung formvollendet aussieht. Ohne lange Umschweife beginnt er mir, als wir gemeinsam weiterlaufen, ein Ohr abzuknabbern. Durch sein perfektes Castellano glaube ich einen leichten norditalienischen Akzent durchschimmern zu hören und so frage ich: »¿De dónde eres? Woher kommst du?« Die Frage wendet er zu einem Quiz, indem er mich dazu auffordert zu raten. Also sage ich: »Na, Schwede bist du sicher nicht. Du kommst aus Norditalien, aus dem Piemont oder aus der Lombardei!« Stefano ist sichtlich beleidigt, dass ich das Rätsel so schnell geknackt habe, und gibt zu, Mailänder zu sein; was mir die Gelegenheit bietet, jetzt ins Italienische zu wechseln, was ich weitaus besser beherrsche als Spanisch.
Der dreiundsechzigjährige Telekommunikationsingenieur ist bereits pensioniert und erzählt mir, dass er im letzten Jahr die Via Francigena von Piacenza nach Rom gepilgert ist. Das sind auch so an die sechshundert Kilometer und ich weiß schon, wo ich demnächst pilgern werde. Eigentlich ist er sehr nett, aber unterschwellig bleibt er ein bisschen arrogant. Penetrant spricht er dann weiter mit mir auf Spanisch, obwohl er natürlich merkt, dass mein Italienisch eindeutig besser ist. Das scheint ihn gewissermaßen zu wurmen und er möchte mich auf Spanisch klein halten. So rede ich irgendwann italienisch, er spanisch. Ich bitte ihn dann mehrmals, doch mit mir in seiner Muttersprache zu reden, was er schließlich ungern tut – und plötzlich nur noch halb so interessant ist. In seiner Muttersprache, bemerke ich viel deutlicher, wie sehr er die Kommunikation durch vordergründige, zugegebenermaßen brillant formulierte Worthülsen bestreitet. Er ist halt Kommunikationsingenieur.
Ständig will er auch noch von mir wissen, wie es denn komme, dass ich in meinem Alter noch nicht verheiratet sei; das gehöre sich doch nicht für einen Katholiken und ich denke nur, dass seine mittlerweile prahlerische Arroganz auch nicht in sein eigenes Dogma passt. Kurzerhand empfiehlt er mir seine ebenfalls unverheiratete Tochter wärmstens als potenzielle Lebensgefährtin. Was ist denn heute nur mit meinen Mitpilgern los? Es geht hier zu wie auf dem Basar.
Dennoch ist es schön, für kurze Zeit wieder einmal Italienisch zu hören und zu sprechen. Irgendwann lasse ich auch Stefano ziehen, der um jeden Preis die heutige Rallye-Etappe gegen seinen zukünftigen Schwiegersohn gewinnen will.
Villafranca ist bald erreicht und lockt, einladend in einem saftig grünen Tal gelegen, mit strahlend weißen Häusern und bunten Dächern. Je näher man dem Städtchen allerdings kommt, desto mehr verblasst der strahlende Eindruck und irgendwann steht man mitten in einem grauen, toten Nest, das den Charme einer belgischen Industriestadt besitzt. Villafranca ist eigentlich nichts weiter als eine wohlklingende Fata Morgana.
Schade, dass ich bisher noch keine wirkliche Freundschaft geschlossen habe, dann wäre der Anblick dieser Tristesse bestimmt erträglicher. Aber es bedrückt mich nicht. Zum Teil genieße ich es sogar, jeden Tag die eine oder andere flüchtige Bekanntschaft zu machen, kurze, tiefe Einblicke in das Leben fremder Menschen zu gewinnen. Das ist spannend, aber nicht belastend.
Ich frage mich, ob ich es überhaupt jemals zu Fuß bis nach Santiago schaffen werde? Der Weg bleibt weiter hart und ein Spaziergang ist diese Erfahrung wahrlich nicht. Und wenn ich es schaffe, wird es mein Leben verändern? Vielleicht erwarte ich einfach zu viel! Wahrscheinlich. Gleichgültigkeit muss ich eben noch lernen.
Ich beziehe ein Zimmer in einer ziemlich abgefahrenen, aber sehr netten kleinen Brummifahrer-Pension. Jeder Antiquar wäre begeistert von dem Jahrhundertwende-Mobiliar, das schlecht behandelt, wahllos im ganzen Haus verteilt, im Weg steht. Aber es ist alles sehr sauber. Mein Gott, entwickle ich mich hier ganz
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