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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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nebenbei auch noch zur Karikatur eines Deutschen? Vor der Pension befindet sich ein gigantischer, leerer Schotterparkplatz, in dessen Mitte die einzige Telefonzelle des Ortes steht.
    Meinen Pilgerstempel hole ich mir gezwungenermaßen im refugio ab. Das ist übrigens wieder einmal nichts als der blanke Horror. Von Victor ist natürlich weit und breit nichts zu sehen. Ich denke mal, der ist weitergelaufen und wollte sich diesen klinisch gekachelten, schmierigen Schlafsaal, der den Charme einer Abdeckerei hat, nicht antun. Dreißig Gitterbetten stehen auf vierzig Quadratmetern, direkt an der Hauptstraße, in einem Haus, dem nur noch eine Abrissbirne weiterhelfen kann, denn die Fensterscheiben sind schon zerschlagen und lieblos mit Kartons geflickt. Immerhin war dies noch vor ein paar hundert Jahren ein Ort, an dem die Pilger ihre Kräfte für die beschwerliche und gefährliche Überquerung der Oca-Berge sammelten: In den Wäldern lauerten Räuber und Banditen.
    Vielleicht meide ich die refugios auch, weil es mir nicht gleichgültig ist, wo ich schlafe, denke ich über meine modernen Sorgen nach. Sollte ich das lernen? Aber die Schlafzeit ist für mich die einzige Erholungsphase von den Strapazen des Tages. Ich bleibe dabei, die Pilgerherbergen tue ich mir nicht an, und schon gar nicht bei dieser drückenden Hitze!
    Die Bude ist brechend voll und nur mein Schwiegervater in spe Stefano bewegt sich in dem Raum, als wäre es die Präsidentensuite des Hotel »Savoy« in Mailand, und kommt strahlend auf mich zugelaufen.
    »Schrecklich hier! Findest du nicht auch?«, will er von mir auf Spanisch wissen und ich antworte der Einfachheit halber in der gleichen Sprache, denn das Hin- und Hergehopse zwischen den beiden romanischen Sprachen mache ich nicht mehr mit: »Horible! Warum schläfst du hier? Ich schlafe da vorne in der Pension am Ortseingang für 15 Mark und es ist grandioso!« Er will sofort mein Zimmer sehen und auf die Gefahr hin, dass er darüber nachdenken sollte, bei mir einzuziehen, schiebe ich dem schnell einen Riegel vor und sage: »Die haben noch ein paar freie Zimmer!« Die großspurige Mailänder Sparflamme hat sich wohl schon Hoffnung auf eine laue Nacht gemacht und wollte wohl kontrollieren, ob ich schnarche, um es dann brühwarm meiner zukünftigen Verlobten zu erzählen.
    Angesichts der unerträglichen Wohnsituation im refugio überkommt es mich und ich gebe nun bei Stefano damit an, dass ich drei Toiletten, zwei Duschen und noch dazu einen Aufenthaltsraum mit Farbfernseher für mich alleine habe!
    Warum tun sich all die anderen Pilger – zum Teil keine armen Leute – diese entsetzlichen Absteigen an, in denen man oft auch noch schlecht behandelt wird? Ich versteh’s nicht. Mir reicht es, dass ich mir Zwanzig-Kilometer-Märsche bei glühender Hitze auf staubigem Asphalt und Holperwegen zumute.
    Sicher, hier und da gibt es auch ganz schöne Herbergen, die von tollen Leuten betrieben werden, so wie das refugio in Navarrete, wo man wirklich gerne über kleine Mängel hinwegsieht.
    Ein älteres amerikanisches Ehepaar, eindeutig wohlhabende Leute, gibt sich heute Nacht auch das Armenlager. Ein Obdachlosenasyl muss dagegen luxuriös genannt werden. Privatsphäre und Intimsphäre werden in diesem refugio mit Füßen getreten. Ein Klo und eine Duschgelegenheit für dreißig Leute! Wir wissen seit Jahrhunderten, dass das nicht gesund ist. Dennoch spielen hier wohlhabende Menschen Armut und tagsüber verdonnern sich fünfzigjährige, pummelige Amerikanerinnen unter sengender Sonne zu Märschen von über vierzig Kilometern. Wie schuldig müssen die sich fühlen, dass sie das alles auf sich nehmen?
    Oder wollen die sich am Ende einfach nur alle wieder ganz doll auf zu Hause freuen? Ich freue mich jetzt erst mal auf mein schönes Zimmer.
    Stefano begleitet mich zurück in mein Hotel und ist begeistert, so was hat auch er jetzt schon seit Wochen nicht mehr gesehen, einfache, saubere Räume mit sanitären Anlagen, die den Hygienevorschriften der EU entsprechen. Trotzdem beschließt er, ohne Nennung von Gründen, in dem refugio zu bleiben, was mir fast die Sprache verschlägt. Dennoch wollen wir im Haus gemeinsam zu Abend zu essen. Ich habe einfach keine Lust, heute Abend wieder allein zu sein, und ich hab auf dem Weg schon schlimmere Typen als Stefano getroffen. Die Kneipe unten bietet Deftiges, was bei Stefano und mir Heimweh nach der italienischen Kochkunst hervorruft. Nach dem Essen will Stefano zu Hause bei

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