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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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Staub setzen mir schon zu, bevor ich überhaupt mein Tagespensum beginne. Ich bin schlicht ausgepowert und das macht quengelig! Ich bin kurz davor, mich zum Abbruch der Pilgerreise durchzuringen. Und mein Entschluss steht fest: Ich bringe den Pilger in mir jetzt um die Ecke!
    Und während ich so in Gedanken versinke, steht plötzlich der Kellner vor mir und ich lese, was auf seinem T-Shirt steht: Keep on running! Das ist wahrscheinlich auch wieder so ein Trick des spanischen Fremdenverkehrsamtes, denke ich, und ich dumme Pilgernuss falle darauf rein!
    Denn ich nehme das umgehend als Befehl, bestelle meinen Kaffee, stürze ihn hinunter, packe meine obligatorischen Kekse ein und nichts wie raus. Das ist eine klare Botschaft und bevor ich das wohlmöglich noch mal vernünftig überdenke, laufe ich zügig weiter. Dieser schiere Zufall sorgt dafür, dass ich heute nicht abbreche. Keep on running!
    So ist das halt, zwischendurch hängt man physisch und seelisch immer wieder durch. Aber eine Pilgerreise muss04:39:30 AM Sun, Sep 12 2010man nun mal alleine machen oder zumindest allein beginnen.
    Auf dem Weg begegne ich immer wieder lauthals streitenden Paaren oder Menschen, die mir erzählen, dass sie sich auf dem Jakobsweg von ihren Partnern getrennt haben. Manche Leute laufen grummelnd meilenweit im falschen Rhythmus neben ihrem Partner her und sind deswegen voller Groll. Gute Freunde entscheiden sich plötzlich spontan aus einer Eingebung heraus dafür, getrennt weiterzulaufen. Und so gehen fast alle Langzeitpilger allein. Gruppen sehe ich so gut wie nie. Rhythmus und Tempo trennen die meisten Menschen auf dem Weg. Es ist schwer, jemanden zu finden, der in einem ähnlichen Takt über den Weg tanzt. Wenn man im langsamen Walzerschritt, so wie ich, läuft, kann man sich keinem flotten Flamencopilger anschließen. Erst muss man sich seines eigenen Tempos ganz sicher sein und kann sich dann vielleicht jemandem anschließen. Die Pilger sind, fühlen und denken, wie sie laufen.
    Sicher, ich könnte einfach nach Hause fahren, eine Party für Freunde schmeißen, meine netten kleinen Reiseanekdoten zum Besten geben und alles wäre herrlich. Aber ich habe mir vorgenommen, diesen Weg zu laufen, und was ich anfange, bringe ich normalerweise auch zu Ende. Ich will wissen, was dieser Weg mit mir macht oder auch nicht. Dann weiß ich es wenigstens. Also: Keep on running!
    Eigentlich beginne ich die Pilgerreise jeden Tag aufs Neue. Hab nicht das Gefühl, eine Reise zu machen, sondern tausend kleine Reisen. Jeden Tag muss ich mich neu motivieren. Die Aufgabe, die dieser Weg einem Pilger immer wieder neu stellt, dessen bin ich mir jetzt sicher, heißt: »Sei einfach nur du selbst! Sei nicht mehr und nicht weniger als das!«
    Und diese Aufgabe ist schwer genug! Der Auftrag ist leicht, aber die Umsetzung kompliziert; besser als umgekehrt. Es ist wie ein Geduldsspiel; in etwa so als versuche man, eine kleine Silberkugel in einem Miniaturlabyrinth durch ständiges Hin- und Herbewegen in das Loch in der Mitte zu bringen. Ganz einfache Aufgabe, aber…
    Und Brüderlichkeit scheint eine Sache zu sein, die der Weg mir beibringen will. Bei allen Unterschieden zwischen den Pilgern zwingt mich der Weg doch immer mehr, das Gemeinsame, das Verbindende als das Trennende zwischen ihnen und mir zu suchen. Wir verfolgen das gleiche Ziel. Ja, und Brüderlichkeit, die vielleicht irdischste aller Tugenden, kann man nur im Hier und Jetzt lernen. Jeder tut, so viel er kann.
    Ich habe das Gefühl, hier auf dem Weg eine Art spirituelles Kartenhaus zu bauen. Jede Karte, die ich dazupacke, macht das Haus für mich zwar beeindruckender, aber es wird immer schwieriger, die nächste Erkenntnis so zu positionieren, dass das gesamte Gebilde stehen bleibt und nicht wieder in sich zusammenfällt. Die Anforderungen werden höher. Die geringste Anforderung, nämlich die Basis für das Kartenhaus zu bauen, hatte höchste Priorität und ich hatte das Gefühl, irgendwie unterstützt zu werden. Jetzt fühle ich mich mehr und mehr auf mich allein gestellt, aber noch steht mein Kartenhaus! Und wer weiß, wenn der Schöpfer morgen besonders lustig ist, pustet er das Kartenhaus um und dann stimmt nichts mehr von dem, was ich jemals geglaubt habe.
    Ich komme mir vor wie die Menschen des Mittelalters, die diese naiven Weltkarten besaßen, auf denen ganze Kontinente fehlten und die Erde als Scheibe dargestellt wurde. Meine naive spirituelle Weltkarte sieht ähnlich aus und beschreibt

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