Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
Wirt mit einer verschmierten Schürze um den strammen Leib tänzelt an großen dunklen Holztischen vorbei, an denen angetrunkene Einheimische und müde Pilger sitzen, durch den düsteren Raum hinüber zum Kamin, in dem sich der Müll bis zur Decke stapelt, und balanciert dabei auf seinem Kopf eine typische Bocale-Flasche, eine Weinflasche aus Glas, die an eine Gießkanne erinnert. Und er gießt sich tatsächlich einen Liter Rotwein über die Haare, saugt ihn dann mit der Nase ein, um ihn schlussendlich in den Mund zu blasen und trällert dabei ein Liedchen. Beeindruckend, aber ekelig!
Das erste Zimmer, das mir Vitorio der Wirt nach seiner gelungenen Performance anbietet, befindet sich im Obergeschoss. Sechs alte halb verfaulte, auf den Boden geworfene Matratzen, ein Fenster so groß wie ein Bullauge und vier von Motten und Staub zerfressene graue Militärdecken befinden sich in diesem biblisch anmutenden Stall, in dem es erstaunlicherweise keine Futterkrippe gibt. Hab ja mittlerweile schon das Duschen ohne Wannenkontakt gelernt; eine echte Kunst und ich bin ein Meister darin, aber in dieser Bude nützt mir das jetzt auch nichts. In einem ähnlichen Raum ist zwar der Heiland geboren, aber ich werde hier nicht schlafen. Wenn schon unten, dann jetzt bitteschön ganz unten! Es scheint heute Nacht draußen warm zu bleiben, also teile ich Vitorio feierlich mit, dass ich einfach vor dem Haus auf der breiten Steintreppe schlafen werde. Das will er nicht zulassen und so zeigt er mir ein zweites Zimmer mit der Bemerkung, dass es allerdings das Doppelte kosten würde. Das Doppelte von ganz wenig ist auch nicht viel, also begehe ich den Raum, der das Prädikat Zimmer in der Tat verdient und mir jetzt vorkommt wie besagte Präsidentensuite des »Savoy« in Mailand.
Das Bett ist erstaunlich sauber und gut gemacht, obwohl ich das Gefühl habe, dass seit mehreren Jahren niemand mehr darin geschlafen hat. Alles wirkt so, als habe die in der Zwischenzeit vermutlich verstorbene Frau des Wirtes dieses Zimmer kurz vor ihrem Tode noch ein letztes Mal ordentlich hergerichtet. Neben dem Bett steht eine Sonnenölflasche aus England, deren Verfallsdatum seit vier Jahren überschritten ist. Daneben liegt eine Eintrittskarte von 1998 für das Kathedralenmuseum von Burgos. Ich nicke kurz, signalisiere Vitorio damit, dass ich seinen Vorschlag akzeptiere, und er kehrt zufrieden zurück in seine Gaststube, während ich versuche, es mir so gemütlich wie irgend möglich zu machen, denn die Dusche wird mir wieder ganzen körperlichen Einsatz abverlangen.
Als ich den düsteren Gastraum erneut betrete, sitzen meine beiden Schwedinnen, Tina und Evi, starr vor Entsetzen vor einem schmierigen geblümten Vorspeisenteller mit irgendwelchen undefinierbaren Fleischfetzen darauf. Ich setze mich zu ihnen und Evi sagt: »Look, what they are doing to us. This is supposed to be carne con pimientos , meat with peppers. I won’t eat this!« Schau mal, was die uns hier vorsetzen. Das hier soll carne con pimientos sein. Ich ess das nicht!
Den kleinen braunen Haufen auf Evis Teller finden Tina und ich so unfassbar ekelig, dass wir das um uns herum tobende Mittelalter lauthals weglachen. So etwas Groteskes habe ich zuvor nicht mal in einem Hundenapf gesehen. Evi lacht zwar mit, heult aber gleichzeitig und muss sich ständig die Nase schnäuzen. Schließlich schluchzt sie: »Let’s go somewhere else!« Lass uns woanders hingehen!
Jetzt brechen alle Dämme! Tina und ich können uns überhaupt nicht mehr halten und wir fliegen uns brüllend in die Arme. Tina fragt mich erstickend vor Gekicher: »Will you tell her or shall I?« Willst du es ihr beibringen oder soll ich? Weder sie noch ich schaffen es, irgendein ordentliches Wort herauszubringen, und Evi fragt uns zornesrot, aber auch lachend: »Tell me... what?...« In einem krampfartigen Anfall schreie ich die Worte heraus: »There is no other place!« Es gibt kein anderes Lokal! Evi schreit laut auf und wir schütten uns jetzt alle noch heftiger aus.
Vitorio interpretiert unser Lachen als gute Pilgerlaune und fragt Tina und mich, ob wir jetzt auch etwas bestellen möchten. Wir brüllen ihm nur quietschend vor Lachen ins Gesicht, während unsere Fäuste immer wieder auf den Tisch trommeln. Irgendwann beruhigen wir uns und Tina macht den einzig vernünftigen Vorschlag: »Wir bestellen jetzt einfach alles, was er zu bieten hat. Irgendwas davon muss essbar sein. Zu jedem Gericht bestellen wir drei extra Teller, die
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