Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
mal nach León.
Ob mir das alles wirklich zugestoßen ist? Keine Ahnung. Das würde ich niemals behaupten. Aber auf dem Teppich in Frankfurt ist es mir wirklich passiert und hat mich zutiefst bewegt und lange nachgeklungen. Tja, und was die Gemeinsamkeit unserer Gruppe angeht: Bis auf eine sahen wir uns alle in den Einzelrückführungen als Opfer des Faschismus.
Und nun sitze ich auf dem Bahnhof in Sahagún und zweifele fröhlich vor mich hin. Sollte ich jemals einen festen Glauben gehabt haben, dann will ich ihn zurück.
Während der knapp einstündigen Zugfahrt von Sahagún nach León stehe ich die ganze Zeit auf dem Gang und schaue tapfer hinaus auf den Jakobsweg. Im Geiste laufe ich ihn. Die Etappen, die ich jetzt hinter mir lasse, wären sehr hart geworden. Bei meiner geschwächten körperlichen Verfassung hätte ich sie wohl kaum in drei Tagen schaffen können. Hier und da sehe ich einzelne Pilger, die sich mühsam durch die heideartige Hügellandschaft, die mich an Sylt erinnert, vorankämpfen. Diesen Teil des Weges werde ich also nicht gehen, sondern mehr oder weniger überfliegen. Manche Anstrengung wird mir erspart bleiben und einiges Schöne werde ich nicht erleben.
Die Entscheidung, mit dem Zug zu fahren, ist richtig und ich fühle mich nicht schuldig, sondern kann das gelassen akzeptieren. Dieser Camino hat so seine unerklärliche Eigendynamik. Er will gelaufen werden.
Das Hin und Her in meiner Gefühlswelt auf dem Camino ist schwer zu ertragen. Von zu Hause kenne ich das so nicht. Morgens fühle ich mich manchmal wie ein angefahrenes Reh. Meine Morgenmuffeligkeit ist hier ein echtes Problem. Später, am Mittag, bin ich heiter, mit der Welt im Einklang, ganz auf dem Weg und bei mir. Dann wieder, gegen Abend, bin ich mit meinen Gedanken weder hier noch sonst wo oder todmüde oder aufgekratzt und todmüde. Es ist gut, dass ich meinem Körper jetzt mal wieder eine Erholungspause gönne. Wahrscheinlich denkt der völlig entsetzt, dieses Gelaufe soll ewig weitergehen.
Noch im Zug erteile ich, wie ich es von Jose gelernt habe, dem Universum laut vernehmbar den Auftrag, mir mitten in León ein günstiges Superluxushotel vor die Nase zu setzen.
Nach meiner Ankunft muss ich vom Bahnhof noch kilometerweit in die Stadt laufen und mache dabei sogleich eine Sightseeing-Tour. Die sandsteinfarbene prachtvolle Hauptstadt von Kastilien scheint eine Cousine Madrids zu sein. Alles ist hier ein wenig überschaubarer und nicht ganz so elegant, dafür leichter, lebendiger, einladender, und ohne snobistisches Kapitalenflair. Eine Stadt, die erobert werden will und die Lebensgeister weckt. Vor dem herrlichen Parador von León bleibe ich mit offenem Mund stehen und kann nicht glauben, dass Menschen sich diese Architektur haben einfallen lassen.
Über den Dächern von León
Mitten in der Innenstadt bietet das edle Hotel »Alfonso V.« im Schaufenster eine Sonderaktion an. 40 Prozent Rabatt für zwei Nächte. Das ist mein Laden, denn ich bin leidenschaftlicher Schnäppchenjäger.
Im modernen Edelstahl-Foyer des Hotels grüßt über der Freitreppe das Wappen Seiner verblichenen Majestät und ich hoffe, dass ich hier trotz meines fleckigen Jeanshemdes ein Zimmer bekomme. Es gelingt mühelos – man ist im Hause anscheinend weitaus Schlimmeres im Umgang mit Pilgern gewohnt. Mein bügelfreies Stadthemd aus Carrión de los Condes, das ich ja noch im Rucksack habe, wird dem Personal garantiert vor Begeisterung den Atem rauben.
Das Zimmer ist der pure Luxus, denn es bietet nicht nur einen gigantischen Ausblick über die verwunschenen Altstadtgässchen, es hat sogar eine Badewanne! Nach dem Bad und der großen Wäsche setze ich mich an den Schreibtisch, telefoniere mal wieder mit zu Hause und schreibe den Leuten, denen ich gerade von meiner beinahe erfolgten Erschießung in Sahagún telefonisch detailliert berichtet habe, auch noch Postkarten. Alle wollen, dass ich so schnell wie möglich wieder nach Hause komme, und während ich gerade überlege, ob sie vielleicht Recht haben und ob ich meinen Weg besser abbrechen sollte, zischt und faucht aus heiterem Himmel plötzlich die Schreibtischlampe los. Ich hatte sie gar nicht angemacht. Sie war aus. Es hat einmal kräftig durch das ganze Zimmer geblitzt und jetzt ist sie hinüber. Ich werde dieses Zimmer besser verlassen und zwar sofort.
Die Kathedrale auf der Plazade la Regla ist der unbestrittene Höhepunkt. Manche sagen, dies sei die schönste Kathedrale
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