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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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Spaniens. Jedenfalls ist sie das stilreinste frühgotische Bauwerk des Landes.
    Auf einmal stehen im Seitenschiff unter einem schmiedeeisernen Leuchter Evi und Tina, meine beiden schwedischen Bekannten, grinsend vor mir. Mein Gott, wie schnell müssen die gelaufen sein, um heute hier zu sein? Ich freue mich riesig, die beiden zu sehen, und umgekehrt ist es auch so. Wir fallen uns lachend in die Arme und die beiden wollen mich sofort zum Abendessen einladen, aber heute möchte ich lieber alleine sein. Weiß nicht, ob die zwei das verstehen, so enttäuscht wie sie dreinschauen. Ich versteh es ja selber kaum, aber da es heute so ist, handele ich auch danach.
     
     
    Diffuses Licht in der Kathedrale von León  
     
    Später laufe ich ein wenig ziellos durch die Stadt und besorge mir eine Kinokarte für einen Film mit John Travolta. ›Combinación Ganadora‹. Was so viel heißt wie: ›Die gewinnbringende Kombination‹ oder ›Der Schlüssel zum Glück‹. Der Film ist ganz witzig. Hab heute allerdings nicht so viel kapiert wie beim letzten Kinobesuch. Es wurde sehr schnell gesprochen. Vielleicht bin ich auch einfach zu müde.
    Bei Tapas und höllisch lauter spanischer Musik, die ein Videokanal ununterbrochen über den Äther schickt, sitze ich später schön in einer Bar. Zwischendurch mal wieder laute Musik zu genießen nach all dem stillen Wandern ist schon was Feines. Auf dem Camino ist es ja doch eher – sagen wir – leise.
    Ich bin der einzige Gast, denn es ist viel zu heiß; noch verirrt sich kein Einheimischer hierher. Auf einem Hocker an der Theke hänge ich vor einem Spezi meinen müden Gedanken nach.
    Während ich mir eine in Schinken gehüllte Dattel in den Mund schiebe, denke ich: Wo ist Gott wohl zu finden?
    Mein Blick wandert durch den Raum. Auf den Klotüren prangen die Bilder von zwei dicken gesunden Babies, einem Mädchen und einem Jungen. Auf dem Bürgersteig humpeln eine Oma und ein Opa mit traurigen, versteinerten Gesichtern an Stöcken vorbei. Der Barmann steht nervös mit dem Fuß wippend draußen vor der Tür und hält Ausschau. Er wartet die ganze Zeit darauf, dass irgendetwas passiert.
    Die Hitze steht in León.
    Dann endlich tut sich etwas in der Calle : eine Ambulanz sammelt eine ältere Señora mit einem Kreislaufkollaps ein und fährt sie mit Blaulicht ins Krankenhaus. Auf dem Musikkanal fängt plötzlich ein rasend gut aussehender Mexikaner an, eine herrliche Schnulze mit dem Titel: ›Imaginas me en ti‹ zu singen, und ich bleibe an der Mattscheibe kleben. Übersetzt bedeuten die Worte des Liedes so viel wie: »Stell dir mich in dir vor« oder besser: »Visualisiere mich in dir«.
    Wen? Gott? Schon wieder ein Lied, das mir etwas sagen will?
    Ich versuche mir Gott in mir vorzustellen und ich fühle mich wohl. Ist es das?
    Muss ich mir »es« einfach in mir vorstellen? Vielleicht muss ich mir nur vorstellen, was ich gerade benötige? Das werde ich in den nächsten Tagen mal testen, dazu ist eine Pilgerfahrt ja da.
    Kurz vor Sonnenuntergang tanzen auf der Plaza Hunderte Einheimische einen spanischen Volkstanz. Ein schönes Bild. Alle sind miteinander verbunden. Auf dem Weg zurück ins Hotel komme ich an einer Sparkasse vorbei, über der ein Riesenplakat prangt und mich auffordert: »Schließen Sie die Augen und wünschen Sie sich was!«
    Ja, ja, mache ich ja schon.
    Wie oft musste ich in den letzten Tagen denken, dass alles falsch ist, was ich hier mache, und ich in die verkehrte Richtung laufe. Wenn ich das mal immer gedacht hätte, als ich nachweislich in die falsche Richtung gelaufen bin! Da war ich mir oft so sicher, das einzig Richtige zu tun. Tief in mir wusste ich zwar, es ist falsch, aber die innere Stimme abzuwürgen ist einfacher, als sie wahrzunehmen. Vielleicht bin ich gerade deshalb jetzt auf dem richtigen Dampfer!? Es ist einfacher, die gesuchte Frequenz auf einem Weltempfänger wegzudrehen als sie sauber einzustellen.
    Alles, was mir in meinem bisherigen Leben so passiert ist, kommt hier auf dem Weg wieder zum Vorschein und die vielen Verzweigungen scheinen jetzt alle hier zusammenzulaufen. Ich denke hier wieder und wieder an all meine direkten Begegnungen mit dem Tod, die ich zum Teil wirklich verdrängt hatte.
    In meinem Lieblingscafé auf der Königsallee in Düsseldorf saß ich gerne bei Cappuccino und Käsekuchen und konnte, neugierig wie ich bin, den Gesprächen der älteren Damen lauschen. So mancher meiner Sketche ist so entstanden.
    Eines Tages sitze ich an

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