Ich bin dein Mörder: Thriller (Sam Burke und Klara Swell) (German Edition)
vergessen, dachte Sam und stocherte im Salat, als er Bennett bemerkte. Er steuerte mit einem abenteuerlich beladenen Tablett auf ihn zu. Und er war nicht allein. Die Erscheinung in seinem Schlepptau war weiblich und sehr auffällig gekleidet. Sie trug ein langes, wallendes Seidenkleid über einer grauen Jeans und ein überdimensioniertes Kopftuch, das sie in klassischer muslimischer Tradition gebunden hatte. Der rot-weiße Stoff umrahmte ein stark geschminktes Gesicht mit tiefroten Lippen, sandelholzfarbener Haut und großen, dunklen Augen. Neben dem großen Bennett in seiner schwarzen Jeans, dem schwarzen Hemd und der schwarzen Haut sah sie aus wie ein expressionistisches Gemälde. Die Stoffe der Klamotten schienen sündhaft teuer zu sein und waren raffiniert geschnitten. Dazu trug sie hochhackige Prada-Stiefeletten in einem passenden Rotton, die Jeans war verblichen und sehr eng. Sie wirkte auf ihn wie eine Muslima vom Laufsteg in Paris. Bennett deutete auf Sams Salat: »Unter die Apostel gegangen, oder wie darf ich das verstehen?«
Sam verzog keine Miene: »Natürlich. Ich bin jetzt ein freier Mann. Ich kann mich gesund ernähren, Sport treiben.«
Das ungleiche Paar setzte sich ihm gegenüber und Bennett stellte ihm die Erscheinung vor: »Das ist Shirin. Die Nachfolge von Wesley.«
Sam gab ihr die Hand: »Ich bin Sam.«
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte Shirin. Na, Gott sei Dank, dachte Sam. Wenigstens etwas. Möglicherweise gab es ja doch noch einen Funken Hoffnung, was seinen Ruf in den heiligen Hallen von Quantico anging.
Die Erscheinung begann zu essen, und die beiden Männer nahmen es als Startsignal.
»Nicht mal mehr Donuts?«, fragte Bennett zwischen zwei Bissen Nudeln.
»Hab was Besseres«, antwortete Sam und griff in seine Aktentasche. »Hier, schenke ich dir.« Eine Packung Mandeln mit Honig-Chili-Überzug, Mischung Nummer zwei flog auf den Tisch.
»Nüsse?«, fragte Bennett erstaunt.
»Ja, Nüsse. Ich liebe die Dinger.« Eine weitere Gabel Salat fand den Weg in seinen Mund, und er ertappte sich dabei, wie er Floyds Nudelteller neidisch beobachtete. Alles nicht so einfach mit der Diät, dachte Sam. »Macht Adrian für mich in seiner Restaurantküche.« Gute Miene zum bösen Spiel.
»Sie sind also die Neue?«, fragte Sam, um vom Thema abzulenken.
»Wieso habe ich das Gefühl, dass Sie das erstaunt?«, fragte Shirin mit klarer Stimme. Offenbar hatte sie keinerlei falschen Respekt vor vermeintlichen Autoritäten, obwohl sie mit ihrem Boss und dessen Exboss am Tisch saß. Sam gefiel die junge Frau, die gerade einmal fünfundzwanzig sein dürfte, wenn das Gesicht unter dem vielen Stoff nicht täuschte.
»Weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass Michael Marin eine Muslima in sein Allerheiligstes lässt.«
Shirin grinste breit. Sie hatte das Zweideutige an seiner Bemerkung natürlich bemerkt und vermutlich auch, dass er Marin gerade als Rassisten angeprangert hatte, sah aber wohl keine Veranlassung, darauf einzugehen. Sie gefiel ihm immer besser. Stattdessen stieg Bennett darauf ein: »Natürlich hat er das auch nicht. Er hat alles getan, um Shirin zu verhindern, aber sie hat sich reingeklagt.«
Sam lachte. Viel zu laut. »Ist das Ihr Ernst?«, fragte er dann. Shirin grinste. »Dann darf ich Sie dazu herzlich beglückwünschen. Ihnen ist gelungen, was noch keinem beim FBI gelungen ist: Michael Marin am Nasenring durch die Arena zu führen.« An Bennett gewandt, fragte er: »Und wo ist Besser-Wesley?« Das unausweichliche Computergenie ihrer Abteilung. Keine kam heute mehr ohne eines dieser Wunderkinder aus. Sam hatte keine Ahnung, wie sie eigentlich früher ermittelt hatten, bevor sich alle Mautstellen einer Stadt binnen fünf Minuten abfragen ließen und alle Bankdaten spätestens nach 25 Minuten zur Verfügung standen.
»Die Wirtschaftskriminalität hat ihn uns weggeschnappt. Während der Bankenkrise haben die alles gekriegt, was sie wollten. Auch Wesley.« In Bennetts Tonfall lag ehrliches Bedauern.
»Und?«, fragte Sam, ohne sich im Mindesten daran zu stören, dass Shirin ihm gegenübersaß. »Ist sie gut?« Er war sich mittlerweile sicher, dass sie sich nicht darüber aufregen würde. Natürlich musste sie gut sein, wenn sie beim NCAVC arbeitete. Und diese Frau war in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes: eine offenbar traditionsbewusste Muslima, die sich in einen Männerberuf klagte in einem Land, das bei den meisten ihrer Glaubensbrüder gerade nicht besonders hoch
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