Ich bin dein Mörder: Thriller (Sam Burke und Klara Swell) (German Edition)
wach –, gab er Klara einen Abschiedskuss. Sie murmelte ihm noch etwas über Menschen, die sogar im Anzug einkaufen gehen, hinterher, aber da war er schon halb aus der Tür.
Sam Burke fuhr nicht in die Outlet-Mall, um ein Geschenk für Klara zu kaufen. Das Einkaufszentrum lag im Norden der Stadt, und er steuerte den Boss ziemlich exakt in die entgegengesetzte Richtung. Er erreichte sein Ziel rekordverdächtige vier Stunden später und stand keine zehn Minuten nach seiner Ankunft auf dem Parkplatz eines großen Büros. Er nahm den Aufzug in die Chefetage.
Wenige Augenblicke später saß Sam auf einem teuren Drehstuhl und wartete auf einen Mann, den er nicht mochte, den er möglicherweise sogar verachtete. Aber er hatte keine Wahl. Seine Tasche hatte er auf dem Schreibtisch abgestellt. Sie stand damit ein Stückchen höher und wirkte wie ein unheilvoller Berg vor dem Himmel hinter der Glasfront. Sam wusste jedoch, dass es nicht die Tasche war, die unheilvoll auf ihn wirkte, sondern ihr Inhalt: der Brief. Er hatte die letzten drei Nächte in New York genutzt und ein erstes, rudimentäres Täterprofil erstellt. Erst hatte er sich mit einem Blick in ihr gemeinsames Schlafzimmer überzeugt, dass Klara schlief, dann hatte er ihn auf den Schreibtisch gelegt. Und ihn Wort für Wort auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Hatte versucht, sich davon zu überzeugen, dass ihn sein Bauchgefühl getäuscht hatte.
»Sam, welch eine Freude, Sie mal wiederzusehen!«, platzte sein ehemaliger Chef, der Oberpolitiker des Hauses, ein Karrierist, wie es keinen schlimmeren gab, aufs Allerfreundlichste in seine Gedanken. Michael Marin. Natürlich war seine Freude nur aufgesetzt. Er konnte Sam genauso wenig leiden wie umgekehrt. Nur dass er es viel besser verstecken konnte. In Spanien verkaufte McDonald’s ein frittiertes Fischstäbchen unter dem Namen McMarin. Sam hatte keine Ahnung, ob Marin das wusste, aber als er noch für ihn gearbeitet hatte, hatte er es jedem seiner Mitarbeiter erzählt.
»Michael«, sagte Sam und schüttelte ihm die Hand. »Es ist auch schön, Sie zu sehen. Leider in einer nicht sehr erfreulichen Angelegenheit.«
»Und ich dachte, Sie wären zum Plaudern gekommen«, sagte Marin und deutete mit einer gönnerhaften Geste auf den Stuhl, auf dem Sam bis vor Kurzem gesessen hatte. Die Tasche stand zwischen ihnen. »Dann legen Sie mal los, Sam. Was kann ich für Sie tun?«
Sam stellte die Tasche vom Tisch und zog den Brief hervor. Er hatte ihn in eine Klarsichthülle gesteckt, obwohl es für Fingerabdrücke oder andere Spurensicherungsgimmicks ohnehin zu spät war. Er legte ihn in die Mitte der großen Glasplatte.
»Letzte Woche erhielt ich diesen Brief. Und ich denke, er sollte Ihnen eine Untersuchung wert sein.«
Michael Marin nahm die Klarsichthülle in die Hand und überflog die Zeilen. Man konnte ihm vieles vorwerfen, aber nicht, dass er ein langsamer Leser wäre. Er ließ die Folie sinken.
»Sie halten das für echt?«, fragte Marin entgeistert.
Sam nickte: »Mittlerweile ja.«
»Aber dass er an Sie adressiert ist, spricht doch …«
»Erst mal dagegen, ich weiß«, unterbracht ihn Sam. »Aber schauen Sie sich die Formulierungen genauer an: ›Ich persönlich muss daran glauben, dass die Erste ein Unfall war und dass es nicht meine Entscheidung war, dass alles so gekommen ist. Vielmehr hat mich aus heiterem Himmel ein Schicksal ereilt, das jeden anderen hätte treffen können.‹
Hier spricht jemand, der sein eigenes Handeln reflektiert. Jemand, der sich damit auseinandersetzt, warum er geworden ist, wer er ist. Nehmen wir einmal für einen Moment an, dass dieser Mann tatsächlich ein perverser Trittbrettfahrer ist, der uns zum Narren halten will. Würde er sich tatsächlich im ersten Satz als Reflektierten zu erkennen geben?«
»Sie wissen doch genauso gut wie ich, wie selten dieser Typus ist, oder nicht, Sam?«
Sam seufzte. »Natürlich kenne ich die Statistik. Aber Sie wissen ebenso gut, dass zu jeder Zeit mindestens fünfzig aktive Serienmörder umherlaufen. Und um welche Typen handelt es sich dabei?«
Marin starrte auf die maschinengeschriebenen Zeilen. Also gut, dachte Sam. Weiter im Text: »›Zumindest seit jenem schicksalhaften Moment im Jahr 1994 gab es für mein Leben kein Zurück mehr. Seit diesem Tag treibt mein Leben mit mir auf den Tod zu, in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur mein eigener Tod ist unausweichlich, sondern auch der vieler anderer, die meinen Weg kreuzen.‹
Er
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