Ich bin dein Mörder: Thriller (Sam Burke und Klara Swell) (German Edition)
Ziel vor Augen schienen selbst die Dämonen in
meinem Inneren eine Art Friedensabkommen mit meiner Lebensrealität geschlossen zu haben. Ich wartete also vor der Kardiologie und gesellte mich
zu der ersten größeren Gruppe aus Schwestern und Ärzten, die gemeinsam zum Mittagessen aufbrachen. Es dauerte drei Tage, bis es mir gelang, einen Namen und eine Dienstnummer von demselben Ausweis abzulesen, und das auch noch mit einem schäbigen Trick in der Warteschlange vor dem Fach mit dem Obstsalat. Ich hatte also einen Namen und eine Dienstnummer von einem Pfleger der Kardiologischen Ambulanz.
Am nächsten Morgen ging ich sehr früh zur Arbeit, der Aufenthaltsraum meiner Abteilung lag noch im Dunkeln. Die Neonröhren flackerten und zirpten wie Grillen, als ich sie anschaltete. Ich lauschte. Aber es war niemand zu hören. Ich griff nach dem internen Telefonbuch, was in Form von laminierten Ausdrucken unter dem braunen Telefon lag, und wählte die Nummer des 24-Stunden-IT-Dienstes.
»IT, hier ist Zack, wie kann ich Ihnen helfen?« Er klang gelangweilt und müde.
»Hallo, Zack, hier ist Tim Carnell von der Kardiologischen.« Ich sprach ihn mit Namen an, weil ich vermutete, dass es besser war, eine Beziehung zu ihm aufzubauen.
»Was kann ich für Sie tun, Tim?«
»Ähm«, räusperte ich mich, »also, es ist mir sehr unangenehm, aber ich befürchte, ich habe mein Passwort verlegt. Also das für meinen Computer.«
»Das ist nicht gut«, stellte Zack fest.
»Nein?«, fragte ich.
»Nein.«
»Und jetzt?«
»Wir füllen ein Formular aus, das kann ich Ihnen schicken, oder Sie können es sich persönlich bei mir abholen. Dann schicken Sie es an uns zurück, und ich mache eine Aktennotiz in Ihrer Personalakte und vergebe ein neues Passwort für Sie. Dann gebe ich Ihr Formular einem Kollegen, und dann dauert es noch etwa einen Tag, bis Sie Ihr System wieder benutzen können.«
»Das«, stammelte ich, »ich befürchte, das geht nicht, Zack.«
»Das sagen alle«, gab Zack zu.
»Hören Sie, wir haben hier chronisch kranke Patienten, die auf ihre Medikamente angewiesen sind. Und wenn ich nicht an die Akten komme, muss ich für alles Dr. Rossi fragen und …«
Dr. Rossi war ein abteilungsübergreifend verschriener Arrogantling, dem es ohnehin kein Pfleger und ich vermutete auch keine IT-Abteilung recht machen konnte. Es half also auch, wenn man etwas mehr über die Organisation wusste, von der man die dringend benötigten Informationen besorgen wollte.
»Ich weiß. Nun ja …« Zack wand sich wie ein Fisch
an der Angel. Mein Vater hatte immer gesagt, das Leinegeben sei genauso wichtig wie das Einholen.
»Na gut«, seufzte ich noch einmal. »Ich verstehe das ja, wenn es nicht anders geht, dann komme ich eben jetzt bei Ihnen vorbei.«
»Na ja«, sagte Zack, und ich hörte, wie er auf einer Tastatur herumtippte. »Wie, sagten Sie noch gleich, war Ihr Name?«
Ich warf einen Blick auf meine Notizen: »Timothy E. Carnell«, nannte ich den vollständigen Namen.
»Personalnummer?«
»5592389.«
»Können Sie ein Geheimnis behalten, Tim?«
»Klar, aber …«
»Hören Sie, ich kann Ihr Passwort nur mit dem Formular ändern. Aber ich kann Ihnen möglicherweise verraten, dass Sie eine bestimmte französische Stadt sehr gerne zu mögen scheinen, Tim. Ist Ihnen damit weitergeholfen?«
Ich schlug mir an den Kopf: »Natürlich, Zack. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.«
»Gerne geschehen, Tim. Haben Sie einen schönen Tag!«
»Sie auch, Zack.« Ich legte auf. »Sie auch«, murmelte ich, während ich darüber nachdachte, welche Stadt wohl gemeint sein könnte. Ich sollte gefühlte zweihundert Versuche später feststellen, dass der Pfleger möglicherweise nicht nur französische Städte, sondern auch französische Weine mochte, denn mit dem Passwort »Bordeaux« eröffnete sich mir das Reich der Patientenakten.
Ahnen Sie schon, worauf das hinausläuft, Sam? Heute glaubt man, dass Hacken etwas mit Programmieren zu tun hat, aber damals waren es einfach nur ein paar Anrufe und die richtigen Namen zur richtigen Zeit. Ich sollte feststellen, dass man nicht nur Patientenakten aus einem Krankenhaus auf diese Art und Weise bekommt. Die Versicherungen haben sich als noch eine weitaus größere Fundgrube für meine weiteren Unternehmungen herausgestellt. Aber das hat viel mit Laura zu tun, und von der schreibe ich Ihnen beim nächsten Mal.
Tom
—
Tom steckte den Ausdruck in einem Briefumschlag und verklebte die
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