Ich bin dein Mörder: Thriller (Sam Burke und Klara Swell) (German Edition)
von Klaras Großmutter durch seine Finger gleiten, wie einen Rosenkranz, mit dem er sie zurückbeten könnte. Klara blieb bei ihrer Mutter stehen und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dann trat sie vor den Priester, der gerade von ihren Verdiensten als Staatsdienerin sprach. Klara drehte sich zu ihnen um und tippte sich an den Kopf, als wolle sie sagen, ihr wisst es doch besser. Dann drehte sie sich zu ihm um, und ihr Lächeln trieb Sam eine Träne in die Augen. Sie kam auf ihn zu und berührte ihn am Kinn. Sam schluckte. Sie legte den Kopf schräg, wie sie es immer getan hatte. Ihre Lippen formten ein »Es tut mir leid«. Sam wollte sie umarmen, ihr sagen, dass es nichts gab, wofür sie sich entschuldigen müsste. Dass es sein Fehler gewesen war. Dass er sie liebte, bis ans Ende aller Tage. Dass sie hätten heiraten sollen und dass es nicht gerecht war von Gott, Rache zu nehmen für eine Beziehung, die sie nicht nach seinem Geschmack hinbekommen hatten. Aber bevor er es denken konnte, war Klaras Gesicht verschwunden, und der Priester sagte: »Gott hat es gegeben, und er hat es genommen.«
Die Urne stand neben dem Bild, ein schlichtes tönernes Gefäß. Die Reste. Klara. Thibault Stein erhob sich, und er setzte den Stock so vorsichtig auf wie sonst nie. Er trat hinter die Kanzel.
»Wenn ein Mensch wie Klara so plötzlich aus unserem Leben gerissen wird«, begann er mit seiner kräftigen Stimme, die die gesamte Kapelle ausfüllte, »dann ist es niemals gerecht. Es ist nicht gerecht, dass ausgerechnet in dieser Kurve ein Lastwagen Öl verloren hatte. Es ist nicht gerecht, dass Klara nicht mehr ausweichen konnte.«
Nein, dachte Sam, das ist es nicht.
»Es ist nicht gerecht, dass wir ab heute ohne sie auskommen müssen. Ohne ihren Verstand, ihren Witz, ihren Charme und ihren unbändigen Mut.«
Sam wischte sich eine Träne von der Wange und hoffte, dass ihr Bild noch einmal zurückkam. Aber Klara blieb fort. Nur ihr Porträt starrte ihn an, als wäre sie tatsächlich hier.
»Wenn jemand Unrecht widerfuhr«, so Stein weiter, »dann war Klara zur Stelle. Sie stemmte sich gegen die Ungerechtigkeiten im Leben wie niemand, den ich jemals kannte. Als der achtjährige Peter damals scheinbar leblos im Schwimmbad trieb, da sprang sie ins Wasser. Da war sie zwölf Jahre alt. Peter ist heute gekommen, um die zu ehren, die ihm damals diese Ungerechtigkeit ersparte. Um Klara für sein Leben zu danken. Unserer Sissi, deren Mut so viel größer war als sie selbst. Sie stemmte sich gegen die Ungerechtigkeiten im Leben. Auch Pia verdankt Klara, dass sie heute hier sitzen kann nach den schrecklichen Ereignissen im letzten Jahr.«
Thibault Stein sah sie an, als säße sie auf der Anklagebank.
»Und Sam, der nicht wäre, was er ist, ohne Klara, seine geliebte Partnerin. Für ihn ist es vielleicht die größte Ungerechtigkeit. Und die eine, gegen die sich Klara nicht mehr stemmen konnte. Es ist ungerecht, dass sie uns alleine lässt. Es ist ungerecht, dass sie Sam alleine lässt. Hörst du mir zu, Klara Swell? Es ist ungerecht. Aber es lag nicht in deinem Ermessen. Wir werden versuchen, dein Andenken in Ehren zu halten und das Unrecht auf dieser Welt weiter zu bekämpfen.«
Oder auch nicht, dachte Sam. Vielleicht hören wir einfach auf mit den pathetischen Reden und legen uns schlafen. Vielleicht ist morgen ein besserer Tag. Sam hatte diesbezüglich seine Zweifel.
»Und den Engeln im Himmel rufe ich zu: Kommt aus euren Häusern, lauft auf die Straßen, und bereitet Klara den Empfang, den sie verdient. Eure neue Mitstreiterin ist eine, die wir sehr vermissen werden.«
Als der alte Anwalt zum zweiten Teil des Requiems von dem Podium stieg und Sam als Erster in die Arme schloss, tropften Tränen auf Sams schwarzes Jackett. Pia drückte seine Hand, und der Priester wartete mit der Urne in der Hand auf ihn.
Kapitel 43
Boston, Massachusetts
Mittwoch, 3. Oktober
Sam Burke saß in seiner Spelunke vor dem Gamsgeweih und hypnotisierte das flammende Schwert auf Marys Schulter. Das fünfte Peroni ist eines zu viel, dachte Sam, als er auf seine leere Flasche deutete. Marys Schwert zuckte nicht anders als beim ersten, und keine Minute später stand eine neue Flasche mit dem einzig Sinnvollen in seinem Leben vor ihm. Er wusste, er trank zu viel. Er wusste, dass Alkohol nichts leichter machte, sondern morgen alles noch schwerer. Aber es zählte nichts. Es zählte nur, dass es half. Denn entgegen allen Beteuerungen seiner Psychologenkollegen
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