Ich bin der Herr deiner Angst
hatte ich nicht geantwortet.
Das schien ihn nicht zu stören.
Oder doch? Warum sonst schickte er die nächste hinterher?
Weil ich ihm fehlte. Schrieb er.
Achte Klasse.
Antworten.
Auswahlmenü. Ich holte Luft.
Sprachanruf.
Als das Klingelzeichen ertönte, war ich kurz davor, aufzulegen, doch damit hätte ich mir eine Blöße gegeben. Schließlich kannte er meine Nummer …
Ich stutzte. Woher eigentlich?
Aber mein Handy hatte schließlich die ganze Nacht in seiner Zweitwohnung gelegen – in meiner Jackentasche zwar, doch er hatte meine Garderobe mit aller Sorgfalt zusammengelegt.
So oder so: Heimlich meine Nummer abzutippen war total daneben.
«Hallo, Hannah!»
Genau derselbe Tonfall wie gestern Morgen, als ich im Foyer der Dienststelle halbwegs in seinen Armen gelegen hatte. Dieselbe waffenscheinpflichtige Stimme.
Doch es war noch ein anderes Geräusch dabei. Motorengeräusch. Er saß am Steuer.
«Hi», murmelte ich und räusperte mich dann. «Also, ich wollte nur sagen: Es ist alles in Ordnung. Du musst dir keine Sorgen …»
«Was machst du heute Abend?»
«Was …» Mir blieb die Spucke weg. Was machte ich wohl heute Abend? Ich war eine verheiratete Frau!
Allerdings hatte diese verheiratete Frau vor ein paar Stunden, als die Vorzeichen noch anders ausgesehen hatten, ihren Ehemann angerufen, um ihm zu sagen, dass sie wahrscheinlich in Braunschweig übernachten würde.
Ich biss mir auf die Lippen.
«Ich bin noch unterwegs», kam es gut gelaunt aus dem Gerät. «Aber in spätestens zwei Stunden bin ich wieder in Hamburg.»
«Ich … ich bin selbst noch unterwegs.»
«Ah?» Interessiert.
Sehr
interessiert. «Und wo?»
«Wie: Wo? Auf der Straße!»
«Ich höre gar keinen Motor. – Oh, jetzt doch.»
Die letzte Bemerkung war kaum zu verstehen. Fünf Meter entfernt rollte ein Zwölftonner Richtung Autobahn.
«Ich habe gerade einen Auswärtstermin abgeschlossen», sagte ich steif. «In Niedersachsen. Und jetzt mache ich mich auf den Weg
nach Hause
.»
«Niedersachsen? He, wenn das kein Zeichen ist! Ich komme gerade von einem Gerichtstermin – in Hildesheim. Wo genau steckst du?»
Wo ich steckte? Keine halbe Stunde von ihm weg bei seiner PS -Zahl.
Ein seltsamer Zufall.
Er konnte tatsächlich in Hildesheim sein – oder direkt um die Ecke, in der nächsten Querstraße. Was hinderte ihn daran, eine halbe Stunde totzuschlagen, um dann freudestrahlend aufzutauchen und uns zu unserer spontanen Idee für einen aufregenden Abend im Braunschweiger Land zu beglückwünschen?
Aber warum hätte er das tun sollen?
Weil er jeden meiner Schritte verfolgte.
Weil du gerade eine ernsthafte Paranoia entwickelst, Friedrichs!
Das Einfachste wäre gewesen, auf dem Revier anzurufen und eine Handy-Ortung zu veranlassen. Seine Nummer hatte ich ja jetzt.
Bedauerlicherweise war das nicht drin.
Nicht, wenn ich vermeiden wollte, ein paar Fragen zu beantworten, die ich nicht beantworten
wollte
.
«Noch da?»
«Keinen Zentimeter von der Stelle gerührt.»
«Ist irgendwas nicht in Ordnung? Du klingst so …»
«Es war
deine
Mandantin, die heute Nacht ermordet wurde, Joachim.» Schärfer als beabsichtigt. «
Du
warst gestern mit ihr essen, nicht ich. Wenn damit für dich alles in Ordnung ist: wunderbar. Aber …»
«Ich mache mir Sorgen um dich.» Seine Stimme war sofort verändert. «Das habe ich dir schon einmal gesagt. Und ich würde dich gerne wiedersehen. Auch das habe ich dir schon einmal gesagt. Du fehlst mir.»
«Joachim, das ist doch …» Aber ich hörte selbst, wie ich klang.
Was willst du wirklich? Überredet werden?
Du willst
ihn
. Aber du willst nicht schuld sein. Nicht die Verantwortung tragen.
«Na, sag schon, Hannah: Wo steckst du?»
Ich holte Luft. «Du bist in der Nähe von Hildesheim?» Direkt vor meiner Windschutzscheibe hing eine Karte des niedersächsischen Autobahnnetzes, drei mal drei Meter groß. «Wir treffen uns auf dem Autohof Lehre.»
Das war am Rande von Braunschweig, ungefähr auf der Hälfte zwischen uns, ein Stück näher bei mir.
Aber Joachim konnte nicht wissen, aus welcher Richtung ich ihn ansteuern würde.
Zumindest für den Fall, dass er tatsächlich aus Hildesheim kam.
***
«Was halten Sie selbst von ihm?»
Maja Werden sah den Hauptkommissar an, über den Rand ihres Glases hinweg.
Sie saßen in einer kleinen Weinschenke in der Braunschweiger Altstadt. Studentisch. Im Hintergrund spielte Musik, die er nicht genau einordnen konnte, ein verträumter, etwas
Weitere Kostenlose Bücher