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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Wein. Sollte es zur Gewohnheit werden, dass seine Gesprächspartner durchblicken ließen, er habe Sokrates’ Lehre nicht erfasst?
    «Sokrates ist davon überzeugt, dass wir kein
neues
Wissen erwerben können», erklärte die junge Frau. «Weil wir alles Wissen, mit dem wir eine Frage beantworten können, bereits besitzen, sobald wir in der Lage sind, diese Frage zu formulieren.»
    Albrecht nickte. «Sherlock Holmes konnte einen Fall lösen, indem er sich in seinem Club in den Sessel setzte und einfach nachdachte. Er musste keinen Fuß vor die Tür setzen.»
    Maja Werden lächelte, und wieder spielten die Schatten auf ihren Zügen ihr verwirrendes Spiel. «Er war einer der allerersten Psychologen.»
    «Was hat Sie dazu gebracht?», fragte er. «Psychologie zu studieren?»
    Sie hob die Schultern. «Ich wollte Dinge verstehen, die ich nicht verstehen konnte. Ist es das nicht immer? Die Dinge hinter den Dingen.»
    Albrecht trank den letzten Schluck und nickte, als die junge Frau fragend zur Karaffe deutete.
    «Sie müssen die Dinge auf ihren Kern zurückführen», erklärte er. «Auf ihren Ursprung. Sie müssen alle Objekte beiseiteschieben, die nicht dazugehören. Dann kommen Sie auf den Kern.»
    Sie nickte erneut, schenkte erst ihm und dann sich selbst ein.
    Lange her ein solcher Abend, dachte Albrecht.
    Lange, lange her.
    ***
    «Mir war nicht klar, dass du dich in Braunschweig so gut auskennst», bemerkte ich.
    Klang das irgendwie lauernd?
    Wenn das so war, bekam mein geheimnisvoller dunkler Fremder nichts davon mit. Oder er war sich seiner Sache dermaßen sicher, dass er mit einem Achselzucken antworten konnte.
    «In Niedersachsen gibt es drei verschiedene Oberlandesgerichte, und Braunschweig ist das kleinste von ihnen. Aber ich bin an allen dreien zugelassen.»
    «Du kommst viel rum», murmelte ich.
    Auf jeden Fall kannte er die Strecke nach Braunschweig. Und als Jurist kannte er mit Sicherheit auch das Institut für Rechtspsychologie, aus dem Professor Möllhaus gestern Nacht entführt worden war, um im Boden des Magnifriedhofs eines grausigen Todes zu sterben.
    «Viel zu viel», sagte Joachim Merz. Seine Stimme kam kaum bei mir an.
    Die Straßen der Braunschweiger Altstadt waren belebt. Es war ein angenehmer Abend für Ende Oktober. Eine Ahnung von Musik aus den Lokalen hier und da. Pärchen wie wir, die Hand in Hand …
    Wir
waren
kein Pärchen!
    «Eine Zeitlang ist es ganz interessant.» Joachim bemerkte nichts von dem, was mir durch den Kopf ging, sondern schien sich in seinen Gedanken zu verlieren, während ich seine Hand fest und warm in meiner spürte. «Ständig neue Orte, neue Leute, neue Herausforderungen. Man gewinnt … oder man lernt dazu. Aber irgendwann muss man aufpassen, dass man nicht vergisst, wohin man eigentlich gehört. Wer man selbst ist.»
    Ich nickte. Bekam er es mit? Eben kamen wir an einem kleinen Ladengeschäft vorbei, einem Juwelier, und ich betrachtete unsere Reflexion in der Schaufensterscheibe. Kein Pärchen, dachte ich mit kritischem Blick, aber doch ein recht ansehnliches Paar.
    Joachim hatte mich mehr oder minder damit überfahren, dass ich wohl kaum für einen
Abend
gekleidet war. Wie weit musste eine Frau eigentlich von Gut und Böse entfernt sein, wenn sie im ersten Moment gar nicht begriff, warum man sich abends anders kleiden sollte als tagsüber? Höchstens bequemer vielleicht. Ich war fast ohnmächtig geworden, als ich die Preise gesehen hatte in der Boutique in den Schlossarkaden, die bis weit in den Abend geöffnet hatte. Doch ich hatte darauf bestanden, das Kleid, einen Traum aus mitternachtsblauer Seide, selbst zu bezahlen. Wie ich das Dennis erklären sollte, war mir allerdings schleierhaft.
    Vielleicht sollte ich es ihm einfach nicht erklären.
    Für sein halbes Dutzend neuer Anzüge jedes Jahr bekam ich ja auch keine andere Erklärung als die, dass er in seinem Beruf eben repräsentieren müsse.
    «Hannah?»
    Ich zuckte zusammen. «Was hast du gesagt?»
    Das Schaufenster, in dem ich unsere Silhouetten bewundert hatte, lag bereits mehrere Häuser hinter uns. Dennis … Nein,
Joachim
! Joachim war stehen geblieben, zog mich zu sich herum und fasste mich an den Oberarmen, nicht fest, aber nachdrücklich.
    «Irgendwie bist du nicht wirklich hier heute Abend, kann das sein?»
    Ich biss mir auf die Lippen. Er hatte ja recht. Es tat gut, ihn an meiner Seite zu spüren, fast schon vertraut, seine Nähe auf diesem Spaziergang durch die Nacht, aus dessen Ziel er ein

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