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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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steuerte den Gehsteig vor dem Theater an, eine Bushaltestelle.
    Was wollte er an einer Bushaltestelle? Sein Jaguar stand nur ein paar Straßen weiter, mein Nissan war am Autohof geblieben. Doch er wurde lediglich langsamer und blieb nicht stehen. Der Park, die Bäume, auf einmal …
    Mit dem Abend war leichter Wind aufgekommen, doch die Brise war nicht unangenehm, eher im Gegenteil.
    Über der Ahnung von Kleid hatte ich meine Windjacke um die Schultern gelegt – Schwarz zu Nachtblau, wirkte wie aus einem Guss. Jetzt glitt sie wie von selbst von meinem Nacken, als Joachim seinen Arm um meinen Rücken schob.
    Es war dunkel hier, ich machte einen ungeschickten Schritt auf den neuen Schuhen, doch er hielt mich, seine Hände, die über meinen Körper fuhren, sein Mund, der meinen suchte.
    Nichts davon passiert gerade wirklich.
    Jetzt meldete sich meine innere Gouvernante, schon
während
es passierte!
    Lass es geschehen, dachte ich. Lass es
jetzt
geschehen.
    Niemand hat Macht über das Morgen.
    Aber das Jetzt gehörte uns, und ich gehörte Joachim.
    Seine Hand fand den Schlitz meines Kleides, schob sich nach oben, ein Fieber noch heißer als mein eigenes.
    Lösch es aus! Lösch jeden Gedanken aus!
    Und genau das tat er.
    Ich sollte noch oft an diesen Moment zurückdenken, bevor diese Geschichte zu Ende war.
    Ich sollte mich verfluchen, wie ich so blind hatte sein können.
    Doch für den Augenblick …
    … war die Blindheit ein Segen.

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Zwischenspiel V
    Ein erleuchtetes Rechteck im dritten Stock des Hotelgebäudes, Nacht auf allen Seiten.
    Der Mann am Fenster gleicht einer dunklen Silhouette, gehört selbst eher zur Nacht als zum Licht.
    Er wird keinen Wettlauf auf Leben und Tod antreten, wie der graue Mann es jeden Abend tut, einen Wettlauf gegen sich selbst.
    Aber einen Kampf liefert er sich doch.
    Er grübelt, und es ist eine fruchtlose Grübelei, weil sie überflüssig ist.
    Die Augen, die ihn aus der Finsternis des jenseitigen Okerufers beobachten, registrieren jedes Detail.
    Er fährt sich über die Stirn, massiert mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel.
    Er dreht sich halb zur Seite, nach einer Uhr vermutlich, die unsichtbar ist für die Augen, die niemals blinzeln.
    Er grübelt, wägt das Für und Wider ab.
    Er grübelt, als hätte er eine Wahl.
    Doch die Augen, die seine Bewegungen verfolgen, wissen, dass diese Wahl nicht existiert. Der Versuchsaufbau lässt sie nicht zu. Falls es tatsächlich eine solche Möglichkeit gegeben hat, so ist dieser Zeitpunkt längst vorüber.
    Die Zwangsläufigkeit des Prozesses hat längst eingesetzt, mit aller Präzision, die aufwendigen Versuchsaufbauten eigen ist.
    Die Weichen sind gestellt, die Entscheidungen getroffen.
    Für einen Moment verändert sich der Ausdruck in den Augen, doch sie bleiben weiter auf das Fenster gerichtet.
    Ja, es hat Entscheidungen gegeben in den letzten Tagen.
    Und nicht alle sind leichtgefallen.
    Manche von ihnen sind schmerzhaft gewesen, eine von ihnen in besonderem Maße.
    Jene, von der noch niemand etwas ahnt.
    Doch jede einzelne war von grundlegender Bedeutung für Erfolg oder Misserfolg des gesamten Plans, des gesamten Experiments.
    Und welche große Erkenntnis wäre jemals erreicht worden – ohne bedeutende Opfer?

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neun
    D ie Silhouette Braunschweigs schälte sich aus dem morgendlichen Nebel.
    Jörg Albrecht stand am selben Fenster wie vierundzwanzig Stunden zuvor, als er noch nicht hatte ahnen können, dass der Mann, mit dem er um sieben Uhr verabredet war, bereits nicht mehr am Leben war.
    Ich sollte hoffen, dass es so war, dachte der Hauptkommissar. Dass die Zeit, die er dort unten noch
gelebt
hat, kurz war.
    Doch er hatte Möllhaus’ zu einer Fratze verzerrtes Gesicht gesehen, nicht mehr menschlich.
    Nein, es war nicht schnell gegangen.
    Gestern. Gestern um diese Zeit.
    Die Hände auf dem Rücken verschränkt, betrachtete Albrecht die Szenerie.
    Kirchtürme, ihre Spitzen noch im Dunst verborgen. Die gewaltige Baumasse des alten Schlosses, dessen Wiederaufbau er vor einigen Jahren kopfschüttelnd in der Presse verfolgt hatte. Am Ende war eine Einkaufspassage herausgekommen, ein Tempel des Kommerzes.
    Am jenseitigen Okerufer eine Parkanlage. Seinem Fenster gegenüber wuchsen Bäume bis dicht an den Flusslauf. Etwas weiter links thronte die historisierende Wucht eines Theatergebäudes.
    Albrecht schloss für einen Moment die Augen.
    Das Theater war eine der Leidenschaften gewesen, die

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