Ich bin der Herr deiner Angst
zur Zentrale der Abteilung führte. Maja Werden lehnte an der Rezeption und sprach mit einer für Albrecht nicht sichtbaren Person.
«Maja!»
Die Doktorandin fuhr herum und sah ihm verwirrt entgegen.
Albrecht biss die Zähne aufeinander. Kein Mensch hatte seinen Kasernenhofton weniger verdient.
«Nicht mein Tag», brummte er. «Entschuldigung.»
Ruhig betrachtete sie ihn von oben bis unten. «Er hat nichts gesagt?»
«Er hat viel zu viel gesagt. – Kommen Sie!» Er blieb stehen. «Ich meine, wenn Sie Zeit haben. Ich müsste, äh, nach Braunschweig zurück. Zum Bahnhof.» Mit dem Wagen war ja Friedrichs zurückgefahren. «Oder wenn es hier irgendwo eine Autovermietung gibt …»
«Ich fahre Sie.» Maja Werden nickte der Dame hinter der Rezeption zu und griff schon nach ihrem Autoschlüssel. «Was ist denn passiert?», fragte sie leise. «Er ist doch nicht …»
«Er kann froh sein, dass ich
ihn
nicht erwürgt habe!»
«Er ist noch nie gewalttätig geworden», sagte Maja Werden ernst.
«Stellen Sie sich vor», blaffte er. «Das würde Wolframs Tochter verflucht noch mal anders sehen!»
Ihr Blick veränderte sich, nur für eine halbe Sekunde, doch es reichte aus, um ihn die Zähne zusammenbeißen zu lassen.
«Entschuldigung», murmelte er. «Ich vergesse immer wieder, dass Sie nicht …» Er schüttelte den Kopf.
Dass Sie keine von meinen Mitarbeitern sind, die ich anschnauzen darf, wie es mir passt?
Wie mussten die Kollegen sich fühlen, wenn er in diesem Ton mit ihnen umsprang?
Die Tür ins Freie. Automatisch wollte der Hauptkommissar sie für die junge Frau öffnen, doch im selben Moment ertönte der Summton des elektronischen Mechanismus, den der Mann in der Pförtnerloge betätigt hatte. Ihre Handys hatten sie diesmal gleich im Wagen gelassen.
«Dieser Fall hat so viele Dimensionen», sagte Albrecht leise. «Sie sind viel zu jung, um sich an die Geschichten von damals zu erinnern, doch glauben Sie mir: Ob dieser Mann sich nun in diesem konkreten Fall nach den Buchstaben des Gesetzes schuldig gemacht hat oder nicht – er ist ein böser Mensch.»
Maja Werden öffnete die Zentralverriegelung ihres Wagens. Albrecht ließ sich auf den Beifahrersitz sinken. Seltsamerweise hatte er bei ihr keine Probleme, wenn sie am Steuer saß. Sie fuhr zügig, aber diszipliniert.
«Böse Menschen gibt es nicht», sagte sie, als sie den Rückwärtsgang einlegte. «Das Einzige, was existiert, sind Kausalitäten. Psychologie ist eine Wissenschaft ganz nah am Menschen, aber auch sie ist eine Wissenschaft. Alles hat eine Ursache. In der Psychologie ist sie oft sehr schwer zu erkennen, aber niemand ist einfach so
böse
. Sie werden kaum einen Täter finden, der nicht vorher einmal Opfer gewesen ist.»
«Und deshalb gibt es keine bösen Menschen mehr? Deshalb sollen wir aufhören, die Täter zu bestrafen?» Er drehte sich zu ihr, doch sie sah weiter geradeaus und bog aus der Hofeinfahrt in die Straße, die an den grau verputzten Gebäuden entlang hinunter in den Ort führte. «Wie Sie argumentieren …» Er schüttelte den Kopf. «Das wäre das Ende einer jeden persönlichen Verantwortung!»
«Das habe ich nicht gesagt.» Ihr Blick blieb weiterhin auf die Straße gerichtet. «Wer einem anderen Menschen schadet, muss die Konsequenzen tragen. Das ist die einzige Möglichkeit, einen Lernprozess in Gang zu setzen. Und ich habe absolut keinen Zweifel, dass auch Max Freiligrath in der langen Zeit gelernt hat.»
Dito, dachte Albrecht. Fragt sich nur, was er gelernt hat.
«Ich erzähle Ihnen alles, bevor ich verschwinde», seufzte er. «Versprochen. Aber später, bitte. – Wir setzen uns irgendwo rein und trinken was.» Die B1 in Richtung Braunschweig und zur Autobahn. «Nur keinen Kaffee», murmelte er.
Ein kurzer Blick aufs Handy. Er musste Friedrichs anrufen, aber …
Nein, dachte er. Später.
Mit einem drei Sekunden langen Druck auf den roten Knopf schaltete er den Apparat aus.
[zur Inhaltsübersicht]
zehn
D reiunddreißig», bemerkte Nils Lehmann.
Bei fünfundzwanzig Minuten hatte er angefangen zu zählen, und mittlerweile war ich kurz davor, ihm an die Gurgel zu gehen.
Isolde Lorentz verspätete sich – um hundertachtzig Sekunden bisher, doch jeder von uns wusste, dass das Verkehrsnetz im Osten Hamburgs ständig kurz vor dem Infarkt stand. Niemand konnte sagen, ob er von Winterhude bis in den Sachsenwald nicht doppelt so lange brauchen würde wie angepeilt.
Nicht dass ich nicht selbst jede Minute
Weitere Kostenlose Bücher