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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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besiedelt, dass es davon zu Tode kommt. Und das lässt nur einen einzigen realistischen Schluss zu.»
    Sein Gesicht war schmaler denn je, als er mich unter seinen zerzausten Haarsträhnen hervor ansah.
    «Diese Maden sind nicht aus freien Stücken hier. – Und nicht allein, nebenbei bemerkt.» Er ging in die Hocke, griff nach einer Taschenlampe, die er auf dem Boden abgestellt hatte, leuchtete einen Winkel unter dem Lehnstuhl aus. «Sehen Sie das?»
    Lehmann war bereits auf allen vieren, hob fragend den Kopf.
    «Hasenköttel?»
    Euler schüttelte den Kopf. «
Desmodus rotundus
. Die gemeine Vampirfledermaus. Sie perforiert die Blutgefäße, um das austretende Blut aufzulecken. In Europa genauso wenig heimisch wie die
Dermatobia hominis
, die einzige Dasselfliegenart, die mit menschlichem Gewebe tatsächlich etwas anfangen kann, sowie …» Ein kritischer Blick auf den Leichnam. «… einige andere Parasiten, die schwerlich aus eigenem Antrieb so rasch hätten vor Ort sein können. – Was Sie hier sehen, Hannah, ist eine Gemeinschaftsarbeit, wie ich sie noch nicht erlebt habe. Irgendjemand muss dafür gesorgt haben, dass eine so illustre Versammlung von Schmarotzern an einem Punkt zusammengekommen ist.»
    ***
    Bahnhöfe hatten etwas Trauriges, dachte Jörg Albrecht.
    Aus welcher Perspektive man die Sache auch betrachtete: Bahnhöfe standen für den Abschied, für die Trennung von den Menschen, die einem etwas bedeuteten.
    Und sie standen für das Fernweh derjenigen, die sich fortwünschten – ohne konkretes Ziel vielleicht, aber mit zugvogelhafter Sehnsucht fort.
    Wie oft hatten die Jungen, die einmal zur Spinnenbande gehört hatten, auf der Fußgängerbrücke gestanden, die über die tief ins Gelände eingeschnittene Bahntrasse hinwegführte. Hatten den Zügen nachgeschaut, die unter ihnen hindurchdonnerten.
    Große Städte.
    Unbekannte Länder.
    Fort.
    In kaum mehr als zwei Stunden würde die Regionalbahn nach Hamburg diese Brücke passieren, und Jörg Albrecht würde an Bord sein.
    Nach Hamburg. Nach Hause.
    Zu Hause, dachte er. Seit dreiundzwanzig Jahren.
    Und doch war es … Es war diesmal anders.
    Er sah Maja Werden nach, die sich kurz verabschiedet hatte, um sich frisch zu machen.
    Frisch machen
. Männer hatten kein Wort dafür.
    Männer gingen wortlos.
    Er nickte zu sich selbst. Eine ernsthafte junge Frau. Zweifelhaft, dass sie einander wiedersehen würden, wenn dieser Fall beendet war, und er wollte nicht darüber nachdenken, wie dieser Gedanke sich anfühlte.
    Und doch war es gut, dass er sie ins Vertrauen gezogen hatte. Etwas, das er lernen musste: Vertrauen.
    Und nicht allein Maja gegenüber. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Vielleicht konnte er einige Dinge anders machen in Zukunft, auch auf dem Kommissariat. Ganz vorsichtig, Schritt für Schritt.
    Wir können lernen, dachte er.
    Wenn wir die Frage einmal verstanden haben.
    Albrecht zögerte.
    In der vergangenen halben Stunde hatte er die junge Frau in alle Details des Falles eingeweiht. Sie hatte es mehr als verdient. Ohne Maja Werden, die sich bei Seidel für die Ermittler eingesetzt hatte, wäre er nicht bis an den Punkt gekommen, an dem er sich jetzt befand.
    Doch er musste einsehen, dass dieser Punkt der Eingang zu einer Sackgasse war.
    Nein, keine Sackgasse, dachte er. Ich laufe im Kreis.
    Albrecht hatte sich auf die Schulter geklopft und sich zu seinem Geniestreich gratuliert, mit Werdens Hilfe weit schneller zu Freiligrath vorgedrungen zu sein, als der Täter hatte ahnen können.
    Und nun?
    Zwei Besuche bei Maximilian Freiligrath, und er war keinen Schritt weiter.
    Kein belastbarer Hinweis, dass der Traumfänger irgendetwas wusste, das die Ermittlung voranbringen konnte.
    Abgesehen von der Tatsache, dass er immer einigermaßen deutlich durchblicken ließ, etwas zu wissen. Doch das durfte den Hauptkommissar nicht überraschen. Dass er selbst für die wissenschaftliche Liebhaberei des Psychologen allemal einen interessanteren Probanden abgab, als die Stationsschwestern das taten, stand natürlich außer Frage.
    Doch er würde den Teufel tun, Maximilian Freiligrath die Geschichte vom Ende der Spinnenbande zu erzählen auf einen blassen Schimmer hin.
    Dies war die bedeutendste Ermittlung seiner Laufbahn, und er musste nur die Augen schließen, um Ole Hartungs und Kerstin Eberts Gesichter vor sich zu sehen.
    Er stand in der Pflicht. Und es war unübersehbar, dass der Fall auf die Entscheidung zusteuerte, während sich der Leiter der

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