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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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hat das gut gefallen, können Sie sich das vorstellen? Nicht die Sorte Stipendium, die nach dem Gießkannenprinzip ausgeteilt wird, und keiner weiß so recht, warum.»
    «Und er wusste ganz genau, warum?»
    Ihre Augen wurden schmaler. «Sie können mir glauben oder nicht: Nicht ein einziges Mal, seitdem ich auf meinem Stuhl sitze, hat Focco Neverding mich um irgendeine Art von Gefallen gebeten. Wenn das Ihre Vorstellung von ihm ist, haben Sie eine falsche Vorstellung.»
    Und zwar von uns beiden
, dachte ich. Aber das sagte sie nicht laut.
    Ich biss mir auf die Zunge. Ich hatte keine besondere Vorstellung von den beiden. Wie tief ließ es blicken, dass die Frau nach einem Brocken schnappte, der gar nicht da war?
    «Diese … Hütte», sagte ich stattdessen. «Sie denken, dort hält er sich auf? Eine Art Treffpunkt für Leute, die er besonders gefördert hat?»
    «Diese Hütte ist eine Hütte», erwiderte Lorentz kühl. «Sein Rückzugsort. In den letzten Jahren war er immer häufiger dort. Vielleicht ist er krank … ich weiß es nicht. Alt ist er auf jeden Fall. Wahrscheinlich will er einfach nur seine Ruhe. Der Wald hier gehört schon ihm, riesige Flächen, fast bis an die Autobahn. Aus der Gegenrichtung gibt es eine Zufahrt, die auch zum Ferienlager führt, zum Kinderdorf. Aber da würde man uns sehen.»
    Hier demnach nicht, dachte ich. Die Frau meinte es ernst.
    Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinanderher. In unserem Rücken Gemurmel meiner beiden Kollegen.
    Schließlich wurde Isolde Lorentz langsamer. Ich hatte den Eindruck, dass sie nach etwas Ausschau hielt. Mehrfach schon hatten wir andere Waldwege überquert, die sich schnurgerade nach links und rechts zogen.
    An einer Kreuzung, die sich in meinem Augen durch nichts von ihren Vorgängern unterschied, bog Lorentz nach links ab und sah jetzt aufmerksamer in den Wald zu beiden Seiten. Noch waren die Bäume nicht vollständig kahl, aber der Wald sah gepflegt aus … bewirtschaftet. Wenig Unterholz. Eine seltsame Stimmung unter dem Blätterdach: bunt und traurig zugleich.
    Plötzlich blieb die Polizeipräsidentin stehen und nickte nach rechts.
    Ich kniff die Augen zusammen. Ein kleiner Hügel mitten im Wald?
    Nein, ein Haus, ein Blockhaus! Das Dach reichte fast bis zum Boden und war zusätzlich mit Grassoden bedeckt. Der Weg führte vielleicht fünfzig Meter daran vorbei, und mit Sicherheit wäre ich tatsächlich vorbeigelaufen, selbst wenn ich gewusst hätte, wonach ich zu suchen hatte.
    Lorentz’ Mundwinkel zuckte. «Der beste Schutz, nicht wahr? Wenn man einfach übersehen wird. Er war immer stolz, dass er hier nicht mal einen Leibwächter …»
    Sie verstummte. Im ersten Moment verstand ich nicht, warum, doch dann: Sie hatte in der
Vergangenheit
von ihm gesprochen.
    Unsere Blicke trafen sich und kehrten dann zurück zu der Hütte. Klein, versteckt, verschmolzen mit der begrenzten Farbpalette des Waldes.
    Ein unangenehmes Kribbeln lief mir über den Rücken.
    Die Hütte sah tot aus. Unbelebt wie die gesamte Umgebung – oder doch nur so lebendig, wie der gesamte Wald lebendig war, in dem es ständig raschelte und Vögel ihre kehligen Rufe ausstießen.
    Wild. Verlassen. Keine Menschenseele.
    «Kommen Sie!» Isolde Lorentz’ Stimme klang beherrscht.
    Ein Trampelpfad zwischen den Bäumen, kaum zu erkennen – und unmöglich zu sagen, wer ihn angelegt hatte: Mensch oder Wildschwein.
    Ohne dass ich es wollte, tastete meine Hand über meine Hüfte. Aber unsere Dienstpistolen hingen im Waffenschrank auf dem Revier. Unser ursprüngliches Ziel war schließlich die Zentrale der Holding gewesen.
    Der Weg folgte einem Halbkreis um die Hütte herum, beinahe eine angedeutete Schneckenform. Mit jedem Schritt konnte ich jetzt neue Einzelheiten ausmachen. Zum Forstweg hin war das Häuschen getarnt worden, die zur Tiefe des Waldes gewandte Seite dagegen präsentierte sich als schmucker hölzerner Giebel. Ein Fenster im Obergeschoss, zwei weitere links und rechts von der Tür. Die Fensterläden standen offen. Kein Licht aus dem Innern. Sogar einen Schornstein gab es, fast unsichtbar zwischen den Grassoden.
    Nicht die Spur einer Rauchwolke.
    Drei Stufen führten zu einer Veranda hoch. Ich hatte das Gefühl, dass Isolde Lorentz für den Bruchteil einer Sekunde zögerte. Dann war sie oben und klopfte.
    Ich hielt den Atem an.
    Schweigen.
    «Herr Neverding?» Ihre Stimme klang immer noch beherrscht. «Isolde Lorentz. Ich bin mit einigen meiner Beamten hier. Wir würden

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